Kino_Der Pianist

Don´t shoot the piano player

Wie kommt man zu einem Oscar? Genau: mit Behinderten, KZ-Opfern und geistig Verwirrten. So zynisch das klingen mag - es ist wahr. Und Roman Polanski verläßt sich genau darauf.    24.10.2002

Ist Ihnen schon aufgefallen, daß sich nie jemand ein schlechtes Wort über Filme zum Themenkreis Holocaust/KZ zu verlieren traut? Selbst Kritiker, die ansonsten für ihre spitze Feder bekannt sind, halten sich bei derartigen Streifen zurück und loben sie lieber, statt einen Ruf als Antisemit/Nazi/Ewiggestriger (hier das Schlagwort Ihrer Wahl einsetzen) zu riskieren.

Auf dieses seltsame Symptom verläßt sich nun auch der ehemalige Meisterregisseur Roman Polanski, dessen vorangegangene Filme (man denke nur an "Die neun Pforten") eher flau und nicht besonders erfolgreich waren. Kein Wunder, daß er da auf die Methode zurückgriff, die auch Steven Spielberg ("Schindlers Liste") wieder Credibility verlieh: den KZ-Film. Mit "Der Pianist" verfilmte er die Autobiographie "Das wunderbare Überleben" des polnisch-jüdischen Chopin-Interpreten Wladyslaw Szpilman, der 1939 in Warschau lebte und von den Nazis mit seiner Familie umgesiedelt wurde. Mit Hilfe polnischer Widerstandskämpfer konnte er später dem Todestransport ins Konzentrationslager entkommen und trieb sich ganz alleine im menschenleeren Ghetto herum - bis ihn ein deutscher Offizier erwischte ...

Da Polanski hier auch eigene Kindheitstraumata verarbeitet (er entging nur knapp dem KZ) und Adrien Brody ("Summer of Sam") in der Hauptrolle eine gewohnt großartige Leistung abliefert, funktioniert der Film und rührt auch ans Herz. Aber: So ein Jahrhundertwerk, wie Festivaljurys und Feuilletonisten tun, ist "Der Pianist" wirklich nicht.

Peter Hiess

Der Pianist

ØØØ

(The Pianist)


148 Min.

F/D/Polen/GB 2002

dt. Fassung und engl. OF

Regie: Roman Polanski

Darsteller: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Maureen Lipman u. a.

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