Kino_L´Emploi du Temps

Outsourcing und die Folgen

Ein unfreiwilliger Aussteiger als interessante Persönlichkeit: Statt berechenbarer Gesellschaftskritik bietet Laurent Cantets prämierter Film eine intelligente Auseinandersetzung mit dem aussterbenden Mittelstand.    29.08.2002

Vincent ist Consultant - die englische Tarnbezeichnung für jene Kerle, die in fremden Firmen/Abteilungen herumspionieren und dort dafür sorgen, daß gnadenlos gespart wird. Irgendwann wird allerdings auch er eingespart und verliert seinen Job.

Gut so, könnte man jetzt sagen und sich zufrieden dem nächsten Thema zuwenden; doch was Vincent (gespielt von Aurélien Recoing) anschließend tut, macht den Film "L´Emploi du Temps", der 2001 in Venedig mit dem Alternativpreis "Löwe des Jahres" ausgezeichnet wurde, doch sehr sehenswert: Er gesteht seiner Familie nicht, daß er jetzt arbeitslos ist, sondern erfindet einen neuen - natürlich verantwortungsvollen - Posten bei der UNO in Genf. Diese Tätigkeit führt ihn angeblich immer wieder zu Kongressen und Geschäftsreisen, sodaß er nur am Wochenende zu Frau und Kindern heimkehrt. In Wahrheit hockt Vincent jedoch Tag für Tag auf irgendwelchen Rastplätzen herum, verbreitetet via Handy ausgeklügelte Lügengeschichten und betrügt sogar seine Freunde, um an Geld zu kommen.

Daß Regisseur Laurent Cantet aus dieser fast perfekten Lebenslüge keine berechenbare Übung in antikapitalistischer Ideologie bastelt, sondern den unfreiwilligen Aussteiger als interessante Persönlichkeit präsentiert, die in ihrem Kampf um einen Platz im aussterbenden Mittelstand sogar Mitgefühl verdient, ist ihm hoch anzurechnen. Trotzdem: Man kann auch warten, bis der Streifen in ARTE läuft ...

Peter Hiess

L'Emploi du Temps

ØØØ


F 2001
132 Min.
franz. OF mit UT
Regie: Laurent Cantet
Darsteller: Aurélien Recoing, Karin Viard, Serge Livrozet u. v. a.

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