Kolumnen_Miststück der Woche - V/023: Zurück in die Zukunft

Die Buben im Pelz: "Kodachrom"

Die Zukunft beginnt leider etwas später - ein unscheinbares Virengebilde sorgt zum Beispiel dafür, daß das neue Album der Buben im Pelz nebst Tour durch die Gemächer von Herrn Felix Austria und seinen Nachbarn erst im hoffentlich kommenden Jahr ansteht. Manfred Prescher freut sich aber, daß es wenigstens schon einen famosen Song vorab zu hören, streamen oder herunterzuladen gibt.    24.06.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Buben im Pelz? Die beste Liebespartnerin von allen findet den Bandnamen dann doch eher politisch unkorrekt, von wegen Tierschutz. Aber sag das mal dem David Pfister und seinen Kumpels. Pfister stand ja auch schon der Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune vor, hat also ein Faible für Projektbenennungen, die sich einen feuchten Kehricht um Animositäten aller Art scheren.

Blöderweise - oder genialerweise, ganz nach Gusto - mag die beste Liebespartnerin von allen die Musik sowohl der Neigungsgruppe als auch der Buben, was sie aber auch nur für das Spurenelement eines Moments in Gewissensbisse brachte. Schließlich mag sie in ihrem Leben ganz andere Kawenzmänner, womit nicht nur der Kolumnist, sondern eben unter anderem auch Trent Raznor, Blixa Bargeld oder Damon Albarn gemeint sind. Damit wäre nebenbei auch die Schnittmenge gefunden, die sie mit Pfister verbindet. Um diese Behauptung final zu verifizieren, bräuchtet ihr bloß auf die Band-Seite bei der Plattenfirma Noise Appeal schauen. Dort werden auf typische PR-Weise Bezüge hergestellt, die aber in diesem Fall auch tatsächlich existieren.

 

 

Buben im Pelz! Das erinnert an die eigene Kindheit. Besonders an Momente, an die man sich eigentlich gar nicht erinnern kann. Oder nur, weil damals auf Kodachrome-Film - oder auf unsensiblen Polaroid-Momentaufnahmen - festgehalten wurde, wie der Bub auf dem Schaffell liegt. Vage dünkt einem, daß man, weil Vater ja nicht das teure Material "verschießen" wollte, irgendwann fröstelte, was dann zwangsläufig in Harndrang gipfelte. Zumindest vermeinte man, einen vagen Hauch von Erinnerung im Gedächtnis abgespeichert zu haben. Aber man unterliegt zwangsläufig einem Täuschungsmanöver des Hippocampus. Man kann sich ja schlecht beim Liegen auf dem Fell beobachten.

Millionen von Kleinkindern wurden zwischen 1935 und 2009 auf Diafilmen von Kodak - oder auf artverwandtem von Agfa, Fujifilm oder ORWO - abgelichtet. Mit dem Ergebnis, daß unser aller Gedächtnis davon kollektiv wie individuell davon beeinflußt wurde. Davon erzählt "Kodachrom", der neue Song der Buben im Pelz. Mit seiner Reise zurück in die Vergangenheit, als es noch Alben voller rasch vergilbender Bilder, Super-8-Filme, Ed von Schleck oder Bonanza-Fahrräder gab, als Singles noch Schallplatten und keine Alleinstehenden waren, ist der Track inhaltlich sehr nah am deshalb bis auf das finale "e" logischerweise gleichnamige Lied von Paul Simon.

Allerdings stammt Simons Beitrag zur Erinnerungskultur aus dem Jahr 1973 und damit aus einer Zeit, in der man verstärkt das zwischenmenschlich Private auf Kodachrome und Co. festhielt. Was damals gang und gebe war, wirkt heute wie ein Anachronismus, wie sentimental dem Schuttabladeplatz der Zeit entrissen. Genau das zeigt auch die Sammlung bleicher Kindheitsaufnahmen, die Pfister sammelte und zu einem Video im besten Super-8-Stil zusammenlötete. Gott sei Dank ist nun dieser Streifen nur so lang wie das Lied, also rund vier Minuten. Denn sonst würde sich der Kolumnist mit Schrecken an die ausschweifend langweiligen Filmabende von Urlauben erinnern. Vater hat sogar ein ätzend langweiliges Zeltwochenende auf hunderte von Dias gebannt und die alle gezeigt - falsche Sortierungen inklusive.

 

Gleichzeitig zum Schrecken, den solche Erinnerungen nun mal verursachen, wird man zwangsläufig auch von schön romantisch verklärten Bildern überflutet. Wie Dietmar bestraft wurde, weil der besoffene "Vollhirni" (MAD) eine Partyknutscherei via Knallfrosch jäh beendete: Spaghetti Bolognese mit einem gewissen Anteil an Agiolax-Streuseln. Die Ausfahrt mit der Freundin im eigenen Kadett, ohne Heizung und mit nur 40 übersichtlich im leeren Motorraum verteilten PS - davon hat man dann wirklich eigene Kodachrome-Bilder oder Technicolor-Filme im Kopf abgelegt. Die werden, fein vergibt und im Farbverlauf eher bläßlich geworden, durch die Buben wieder an die Oberfläche der Denkmurmel geschaufelt, wofür ich den Kerlen wirklich nachhaltig dankbar bin.

Der besten Liebespartnerin von allen geht es ähnlich: Sie erinnert sich an ihren ersten Lover, einen Buben im Pelz. Richtig: Der Teenager konnte nicht nur auf seinem frisierten Moped von Suzuki stehend durch die Hood brausen, er hatte auch einen Pelzmantel. Der stammte, behauptete er, aus dem Wehrmachtsnachlaß seines Großvaters, was sich aber als charmante Lüge, mindestens aber als an den Kunsthaaren des Pelzersatzes herbeigezogen herausstellte. Aber wenn die Mär von Opas Soldatenmantel stimmen würde, hätte das arme Tier auf jeden Fall sein normal nach wenigen Jahren zu Ende gegangenes Leben weit überlebt - und für wohlige Wärme im Kragenbereich gesorgt.

Doch wie heißt es so schön unter korrekt inszenierten Filmen, bei denen ein Vierbeiner dran glauben muß: "Tiere kamen bei den Dreharbeiten nicht zu Schaden". Man sieht also, es kommt nur darauf an, wie man die Geschichte ausschmückt. Dann werden selbst finstere Zeiten bunt, und am Ende war alles gar nicht so schlimm. Selbst Dietmar muß mittlerweile über das besondere Nudelgericht lachen: "Das ist ja fast wie vegane Bolognese, man sieht den Unterschied nicht. Man schmeckt ihn nicht mal." Man merkt ihn erst im Nachgang, spätestens wenn sich der Gang aufs Häusl ewig in die Länge zu ziehen scheint. Aber der Teil ist in den Tiefen von Dietmars Vogesen des Vergessens verschwunden. Genau wie die Arscheskälte im Kadett während des Katastrophenwinters von 1978. Davon möchte man kein Kodachrome-Dia irgendwo finden.

Darum sollt Ihr euch auf jeden Fall warme Gedanken machen, wenn Ihr das schöne Lied der Buben im Pelz hört. Denkt an Eure erste Dagmar oder Euren ersten Horst, an schöne Momente am Baggersee, an Mixtapes, Flaschendrehen oder daran, wie eure seinerzeitige Liebste die Trambahn nach Ankara entführt hat, weil ihr sie nicht bei Nacht und Nebel von ihrer Freundin abholen wolltet. Diese Episode aus eurem Leben entfaltet erst in der Nachschau ihren Charme, aber so verhält sich das meist mit Zeitreisen. Fragt einfach mal Marty McFly oder von mir aus auch David Pfister.

Übrigens: Auch nächste Woche begebe ich mich mit und für euch auf einen Trip zurück in die Vergangenheit - mit der neuen Platte von Bob Dylan. Also bis denne. Paßt auf euch und eure Erinnerungen auf. 

Manfred Prescher

Die Buben im Pelz - "Kodachrom"

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Photos: © Noiseappeal & David Pfister

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