Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Ausgestöpselt

Dr. Trash empfiehlt: Kaufen Sie sich ein iPad - am besten gleich die soeben erschienene Version 2, dann sind Sie Ihrem guten Doktor auch noch ein wenig voraus. Apples Tablette gegen Ödnis und graue Desktop-Rechner ist zwar für den heftig schreibenden Geistesarbeiter nur bedingt geeignet, aber unterwegs leistet das Brett beste Dienste. Auch im Urlaub, statt der berüchtigten Reisetasche voller Bücher.    02.04.2011

Hardwaremäßig fühlt sich der Doc - obwohl er immer noch im Internetz nebengemeldet ist - ja schon lange nicht mehr zuständig. Mit zunehmendem Alter scheint sich im Kopf Ihres liebsten Privatgelehrten und Zuständigen für psychosexuelle Fragen eine Art Technikregression breitzumachen. Enttäuscht vom blöden Hype der Elektronikindustrie tauscht er die Surround-Anlage gegen den einfachen MP3-Ghettoblaster (weil er eh immer weniger Frequenzen hört), legt sich statt des HD-3D-Wandbildschirms einen alten Schwarzweiß-Portable zu und schaut Filme lieber auf dem Laptop-Monitor als von Blu-ray.

Andererseits: Dem Charme und der Attraktivität von Apples iPad kann sich selbst der abgeklärte Privatgelehrte nicht entziehen. Unmöglich. Das Gerät sieht einfach so aus, als ob die Welt nur darauf gewartet hätte. Und vielleicht hat sie das ja auch. Worauf die Welt zwar garantiert nicht gewartet hat, das ist die umständliche Handhabung mit iTunes, das sich dauernd mit dem Desktop-Mac synchronisieren möchte, statt daß man im laborinternen Netzwerk einfach Inhalte von einem Rechner auf den anderen ziehen kann. Gut, man muß verstehen, daß Apple Geld verdienen will mit seinen Apps, Songs, Filmen und E-Books. Man muß aber andererseits auch verstehen, daß das dem Doc so richtig wurscht ist.

Also informiert er sich bei einem in diesen Dingen erfahrenen Freunde (nennen wir ihn Murray the Plug), und eine halbe Stunde später liegen bereits zirka 4000 PDFs im Bücherregal des iPad, weil ja in Zeiten des Filesharing jeder gleich seine gesamte Science-Fiction-Bibliothek ins Netz stellt. Lesen wird man das alles nie, stimmt schon, doch der Doc sah, daß es gut war. Immerhin fanden sich im Download-Angebot auch einige der Obskuritäten, die er gedruckt nur sehr schwer aufgetrieben hätte und nun doch in seine Sammlung eingliedern konnte. Wie da wären: The Process Church of the Final Judgment/Documents (520 Seiten; wer nicht weiß, worum es geht, der lese The Family von Ed Sanders); Ragnar Bensons Überleben-gegen-die-Neue-Weltordnung-Bibel The Modern Survival Retreat (106 unverzichtbare Seiten); das wunderbare Verschwörungswerk The Search for the Manchurian Candidate. The CIA and Mind Control von John Marks (190 Seiten, Manuskript); und zu guter Letzt das umfassende Kunst-Kompendium 15 Years of Spike Magazine: Books, Music, Art, Ideas (568 Seiten).

Müßte der Doc als Ex-Bildungsbürger das alles in der Aktentasche herumschleppen, käme er nicht einmal bis zur nächsten Straßenbahnstation - doch mit dem feinen Brett von Herrn Jobs kann er sich wieder gebildet und belesen in die Welt hinauswagen. Und beim Lesen schaut das Ding wirklich fast aus wie ein Buch ...

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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Kommentare_

Andreas - 02.04.2011 : 09.08
Bitte lieber Gott,
schick Pater Hass bei Dr. Trash vorbei
und richt dem seinen Kopf gehörig ei'.
Oder ich kündige alle meine evolver-Abos
(bevor noch jemand auf die Idee kommt,
evolver-Artikel in Apps zu packen,
die ich per iTunes teuer bezahle,
während die AutorInnen und VerlegerInnen
verbluten ... hm, ok, das hätte dann doch
seinen Charme).

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