Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Massenmörder
Dr. Trash empfiehlt: Freuen Sie sich über den Niedergang der traditionellen Medien. Werfen Sie Ihren Fernseher aus dem Fenster, schalten Sie das Debilenradio aus, meiden Sie billigen Boulevard, grausliche Gratisblättchen und quälende Qualitätszeitungen. Deswegen brauchen Sie aber nicht gleich Ihre Seele an Facebook zu verkaufen - das gedruckte Wort hat nach wie vor Saison. Schließlich hat sich auch die Fanzine-Szene optisch und qualitativ weiterentwickelt ...
02.10.2010
Als langgedienter Einzelkämpfer gegen die Verblödungsindustrie freut sich der Doc natürlich ganz besonders darüber, daß es mit den sogenannten Mainstream-Medien immer weiter bergab geht. "Print-Produkte" (eine bessere Bezeichnung haben die meisten dieser ekligen Blättchen wirklich nicht verdient) verlieren Leser und Inserenten, Fernsehsender kämpfen mit niedrigen Einschaltquoten, nur das Deppenradio dudelt noch aus allen Kanälen - aber auch das wird sich aufhören.
Schuld an allem, so sagen die panikgeschüttelten Experten, sei das Internet. Stimmt gar nicht. Wahr ist vielmehr, daß die Redaktionsbeamten und Anzeigenstrizzis ihr Publikum seit viel zu vielen Jahren mit ihrer leicht durchschaubaren Propaganda und Konsumtrottelei für dumm verkaufen. Und jetzt rennen die Leute eben scharenweise davon. Gut so.
Da der Doktor aber nicht immer nur vor dem Bildschirm sitzen will, sondern nach wie vor gern gedrucktes Papier in den Händen hält, sucht er stets nach Alternativen zu den gleichgeschalteten Massenmedien. Und dabei fallen ihm gelegentlich Fanzines in die Hände. Mittlerweile sind das allerdings keine hektographierten, nur wenige Seiten starken Schwarzweißheftchen mehr, sondern zum Teil professionell produzierte, schön gestaltete und in jeder Hinsicht ansprechende Bücher - wie beispielsweise Grimm (AVerse Publishing, Schlesische Str. 26, D-10997 Berlin; Mail: lars.brinkmann@grimmoire.de), dessen erste Ausgabe Ihrem Facharzt vorliegt: Berichte aus der Post-Industrial-Subkultur (Boyd Rice, James Graham Ballard) stehen hier neben Reportagen über exzentrische Sargtischlerei in Ghana, nationalistisch gesinnte ungarische Ex-Punks und anderes, was die normale "Berichterstattung" verschweigt. Hervorragendes Lesematerial, um das man nicht herumkommt.
Ganz viel zu lesen, noch viel bunter gemischt, gibt es im Hunderte Seiten starke Wälzer Ye Olde Self-Referentiality, den das Wiener Kunstkollektiv monochrom (Museumsquartier/Q21, Museumsplatz 1, 1070 Wien) als Sammelausgabe #26-34 vorlegt. Den Inhalt beschreiben zu wollen ist sinnlos: Hier wurden Texte, Bilder und Collagen aus Print- und Webpublikationen in aller Welt gesammelt; es geht um Filme, Architektur, Politik, Kommunikation, Philosophie und und und ... Postmoderner kann man sowas gar nicht zusammenstellen, und es ist kein Wunder, daß die Mannschaft um Johannes Grenzfurthner mittlerweile im Wiener-Kunstbetonghetto "Emmkuh" daheim ist und von den üblichen Verdächtigen finanziell gefördert wird. Tip: entweder in die Lektüre verbeißen und versuchen, daraus schlau zu werden, oder ins Regal stellen und gelegentlich schräge Blicke auf das Kompendium werfen.
Der Doc überlegt noch.
Dr. Trash
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