Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Planspiel

Dr. Trash empfiehlt: Halten Sie sich fern von fernen Ländern - und sparen Sie sich bei der Gelegenheit auch gleich den Besuch in den Nachbarstaaten. Die angebliche "Freizügigkeit" bedeutet ja nur, daß es den Leuten überall gleich schlecht geht. Da ist es doch viel vernünftiger, daheim die Seiten von Atlanten zu wälzen und sich vorzustellen, daß draußen in der Welt alles wirklich so wohlgeordnet ist.    25.02.2009

Der Doc ging gern in die Schule. Nein, wirklich - während seine gymnasialen Kollegen nach zwei schier endlosen Sommerferienmonaten darob wehklagten, daß sie jetzt nicht mehr sinnlos am Strand herumlungern durften, freute sich der noch nicht volljährige Trash schon Anfang August darauf, bald wieder die heiligen Hallen der Bildung betreten zu dürfen. Und er wollte auch nicht für das Leben lernen, wie es so einfältig heißt, sondern nur und ausschließlich für die Schule. Alles andere erfuhr er ohnehin privat, aus Büchern, Kinofilmen und dem Fernsehen, das damals noch nicht für Amöben gemacht wurde.

Es gab nur ein Fach, das dem Doc zutiefst verhaßt war: die Geographie. Der bloße Gedanke an ferne Länder mußte einem agoraphobischen jungen Menschen wie ihm, der sich schon beim Verlassen des Bezirks wie ein in die feindselige Welt geworfener Camus-Romanheld fühlte, eine Höllenangst einjagen. Dazu kam die bis heute anhaltende völlige Unfähigkeit, sich anhand von Landkarten die wirkliche Welt vorzustellen. Beim Betrachten des Österreichischen Mittelschulatlas sah er nur sinnlose Farben, Striche und Namen, die er sich keinesfalls merken wollte. Und wenn der Geographieprofessor dann in öden Worten den Unterschied zwischen freier Welt, bösem Ostblock und den Entwicklungsländern (die mit den Eskimos, Indianern und Denen-die-man-heute-bei-Strafandrohung-nicht-mehr-so-nennen-darf) erläuterte, imaginierte sich der Doc bestenfalls in sein Stammkino jenseits des Donaukanals.

Heute ist alles anders. Das Kino gibt´s nicht mehr, den Ostblock auch nicht, und das geographische Bildungsmaterial ist sogar stationären Privatgelehrten zuträglich. Man nehme nur Meyers Großes Länderlexikon (Meyers Lexikonverlag), das alle Kontinente und Länder dieser Welt in leicht faßlichen Absätzen, mit Artikeln und praktischen Überschriften abhandelt, sodaß man sich den Planeten in kleinen Häppchen ("Kennen - erleben - verstehen") zu Gemüte führen kann. Dazu passend: Meyers Universalatlas, der "Die Welt in Karten" präsentiert, die sogar der Doc ... nein, wem mache ich denn hier was vor? Ich starre die Landkarten immer noch verständnislos an, fahre mit dem Finger darüber und hole mir bestenfalls eine Atlasfarbenallergie. Da müssen schon richtige Druckwerke her, in denen es um was geht.

Um also wieder in die gemütliche dritte Person zu wechseln: Der Doc hat das Kartenmaterial gegen Aufpreis umgetauscht und zieht sich in der kühlen Jahreszeit mit zwei neuen Wälzern - Der Brockhaus: Archäologie und Der Brockhaus: Philosophie - in seine Studierstube zurück, um vergessene Bildung nachzuholen und sich an seine Schulzeit zu erinnern.

Ist ja alles viel zu lange her ...

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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