Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Übermensch

Dr. Trash empfiehlt: Werden Sie (fast) unsterblich, steigern Sie Ihre Intelligenz und wandern Sie ins All aus - vielleicht kommt der Doc ja sogar mit. Was in der Vergangenheit der Zukunftsliteratur noch eine aufregende Vision war, führt heute neben "realen" Problemen wie dem dummen Kontostand ein Schattendasein. Eine neue Internet-Zeitschrift zeigt jedoch, daß die transhumanistische Idee noch lange nicht tot ist.    24.04.2009

Der Doc kannte das Internet, als es noch klein war.

Es war pure Science Fiction - viel mehr, als sich die meisten Autoren des Genres ausdenken hätten können. Plötzlich saß man nicht mehr allein vor dem langweiligen Computer-Monitor, sondern hatte Zugang zur Welt hinter dem Bildschirm, zu Gleichgesinnten, zu unzähligen Ideen und Informationen. Man war ein Cyberpunk. Man hatte wieder Visionen.

Und vielleicht, so hofften Hacker, Amateure und sogar Privatgelehrte, vielleicht ließen sich dadurch die Grenzen des Menschseins endlich überwinden. Man würde auf dem "Daten-Highway" (ja, wirklich, so sagte man damals ...) von Null auf Hunderttausend beschleunigen, Teil des kollektiven Weltgeistes werden und das erreichen, was der gute alte LSD-Papst Timothy Leary vorausgesagt hatte:

 


 

 

In Menschensprache übersetzt heißt das: Space Migration plus Intelligenz zum Quadrat plus Life Extension ist gleich unendlich. Die Menschheit würde sich demnach nur weiterentwickeln können, wenn sie ins All auswanderte, ihre Intelligenz potenzierte und ihr Leben verlängerte - und zwar nicht auf natürlichem Weg (den haben wir ja bereits hinter uns), sondern mit Hilfe der Technik. Wir würden unsere Gehirne mit Nanochips vernetzen, unsere Körper den Umweltbedingungen auf fernen Planeten anpassen, als Cyborgs unsterblich sein. Und das Internet wäre der erste, wichtige Schritt auf diesem Weg.

Wie wir heute wissen, ist aus dieser hehren, "transhumanistischen" Idee nichts geworden. Die Raumfahrtindustrie beschränkt sich aus Kostengründen darauf, unbemannte Raketen ins All zu schicken; statt Intelligenzsteigerung herrscht allgemeine analphabetische Verblödung zur Begleitung von Handy-Klingeltönen; und die menschliche Lebensspanne braucht nicht verlängert zu werden, solange durch den Fortpflanzungsirrsinn immer mehr arme Seelen in die Welt gesetzt werden. Das Netz aber ist Werbefritzen, Buchhaltern und Amateuren in die dreckigen Hände gefallen.

Angesichts dieser deprimierenden Situation findet Ihr Cyberdoktor es besonders erfreulich, daß die Transhumanisten keineswegs aufgegeben haben. Erst vor kurzem erschien die erste Ausgabe einer via PDF verbreiteteten Internet-Publikation mit dem schönen Titel H+ (Humanity Plus - was sonst?), herausgegeben vom umtriebigen Techno-Hippie RU Sirius. Auf den Seiten der schön gestalteten Zeitschrift erfahren Sie, wie Sie die Evolution selbst in die Hand nehmen, unsagbar alt werden und sich alles merken können. Und wenn´s nicht wahr wird, so liest es sich doch zumindest gut ...

Machen Sie also einen Ausflug in die Internet-Trafik (siehe Links) und holen Sie sich dieses Blatt. Die Zukunft ist gratis.

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Links:

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