Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Kartentricks
Dr. Trash empfiehlt: Lesen Sie seine legendären Kolumnen aus der ebenso legendären Zeitschrift "Buchkultur" nach - ab jetzt regelmäßig, bis zur jeweils aktuellen Heftausgabe. Die erste stammt aus dem Jänner 2003 und beginnt gleich mit einer der Lieblings-Shared-Worlds des Doc.
02.05.2007
Ich gebe es ja zu: Seit Jahresbeginn habe ich beim Datum schon fünfmal "1993" hingeschrieben. Das ist falsch, ich weiß. Und es macht sich auch in Geschäftsbriefen gar nicht gut.
Anscheinend existiere ich rein rechnerisch zehn Jahre hinter der genormten Zeitrechnung (von meinem Hirn ganz abgesehen, das wohnt ca. im 19. Jahrhundert). Vielleicht liegt´s daran, daß es damals weder falsche Rechtschreibung noch falsche Pässe noch falsches Geld gab. Aber ich schweife ab ...
Jedenfalls zieht es mich auch literarisch immer wieder in die Vergangenheit - nicht etwa, weil da alles besser gewesen wäre, sondern weil es sich manchmal einfach lohnt, Bücher wiederzulesen, die keiner außer mir dem Kanon der Literaturklassiker zuordnen würde.
Anlaß für das neueste private Revival war das Erscheinen der SF-Anthologie "Wild Cards: Deuces Down" (ibooks/Simon & Schuster), herausgegeben von George R. R. Martin, der in den letzten Jahren mit seinem unglaublichen Fantasy-Epos "Das Lied von Eis und Feuer" (Goldmann) regelmäßig die US-Bestsellerlisten eroberte. Martin und einige Phantastik-Kollegen hatten sich Mitte der 80er Jahre jene "Shared World" ausgedacht, in der dieser nunmehr auf 16 Bände angewachsene Zyklus spielt: Es ist die Erde, aber nicht so, wie wir sie kennen, Jim.
"Wild Cards" geht davon aus, daß 1946 ein außerirdischer Virus auf unserem Planeten (in New York, naturgemäß) gelandet ist. Neunzig Prozent aller Infizierten starben sofort, neun Prozent verwandelten sich in zum Teil schrecklich mutierte "Joker", und das verbliebene Prozent wurde zu Superhelden, genannt "Aces". Seit dieser Idee befassen sich etliche Genreautoren auf spannende Art mit der Frage, wie die Welt aussehen würde, wenn es solche Übermenschen tätsächlich gäbe.
Ich habe mit Band eins noch einmal angefangen. Wer´s mir nachtun will: In den USA wird der Zyklus soeben neu aufgelegt; hierzulande müßte man die Heyne-Taschenbuch-Ausgaben noch bei amazon.de oder ebay kriegen.
Sollte Ihnen eine solche Parallelwelt allerdings zu fern sein, dann halten Sie sich lieber an eine andere faszinierende "Was wäre, wenn ..."-Frage: In Marcus Hammerschmitts Roman "Polyplay" (Argument/SF Social Fantasies) wurde die deutsche Wiedervereinigung von der DDR initiiert, die eine nach dem Börsenkrach von 1987 geschwächte BRD schluckte und so zur führenden Wirtschaftsmacht Europas wurde. Und jetzt, im April 2000, muß Volkspolizist Kramer den Mord an einem Computerspiel-besessenen Jugendlichen aufklären, bevor sich die Stasi einmischt. Da kommt Freude auf - denn schlimmer als in der EU geht´s im realsozialistischen Piefkestaat auch nicht zu.
Was uns wiederum sehr zu denken geben sollte ...
Dr. Trash
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