Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
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Dr. Trash empfiehlt: Verzichten Sie auf jämmerliche Kurzgeschichtenschreiber, die nichts zu erzählen haben und nach 30 Seiten fadem Alltag bestenfalls mit einer Anti-Pointe voll Humanitätsgedusel aufwarten. Der Genre-Story gehört die Zukunft. Der Doc weiß das längst - und auch anerkannte angloamerikanische Autoren gelangten im Frühjahr 2005 wieder zu dieser Erkenntnis.
17.10.2007
Man kann es auch als Akademiker zugeben: Manchmal zählt der erste Eindruck. Und der ist bei einem Buch, wenn man es richtig liest, nämlich von vorne nach hinten (nur Anfänger blättern sinnlos herum oder wollen gleich das Ende wissen), logischerweise oft das Vorwort.
In der Anthologie McSweeney´s Mammoth Treasury of Thrilling Tales stammt selbiges von Herausgeber Michael Chabon, der uns eine fiktive Welt präsentiert, in der sich irgendwann in den 50er Jahren der Krankenschwestern-Liebesroman als einzige akzeptierte und verkäufliche Form der Literatur durchsetzte. Sämtliche anderen Genres verschwanden, Michael Pynchon mußte statt "Gravity´s Rainbow" das bekannte Werk "Blitz Nurse" schreiben - und irgendwann zu Anfang des 3. Jahrtausends hatte selbst der geduldigste Leser genug und sehnte sich nach Abwechslung. Nur wußte halt keiner mehr so recht, wo die zu finden sein könnte ...
Ähnliches, so Chabon (der unter anderem "Wonder Boys" verfaßte, das mit dem Hängehintern von Michael Douglas verfilmt wurde), ereignete sich vor nicht allzulanger Zeit bei der Short story: Selbst angesehene Autoren siedelten einst ihre Kurzgeschichten in allen möglichen Genres an, von Horror über Spionage bis zur SF - bis sich plötzlich die "moment-of-truth story" (Sie wissen schon, die nervende Abart, die ohne Plot und Spannung auskommt und sich nur auf eine möglichst humanistische Erkenntnis des Protagonisten verläßt) als einzig "seriöse" Variante herauskristallisierte. Der Rest gilt seither als Schund. Und das störte Michael Chabon so, daß er sich an Dave Eggers (siehe: "Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität") wandte und ihn ersuchte, Gastredakteur bei dessen Literaturzeitschrift "MySweeney´s" spielen zu dürfen.
Eggers ließ sich erweichen, die Mammutnummer mit "richtigen" Short stories erschien und liegt jetzt auch als Buch vor. Besagtes Mammoth Treasury enthält Beiträge von Star-Literaten wie Michael Crichton, Elmore Leonard, Nick Hornby, Michael Moorcock und Neil Gaiman, die wirklich fast kein schön altmodisches Genre ausgelassen haben. Manche der Geschichten funktionieren gut, andere weniger, die von Stephen King ist leider nur ein Auszug aus einem seiner "Dark Tower"-Wälzer, und das wahre Meisterstück ist Rick Moodys "The Albertine Notes", eine Fast-schon-Novelle über ein postatomares New York und eine faszinierend realitätsverändernde Gedächtnisdroge.
Insgesamt, so urteilt der Doc, ist die Anthologie ein gemischtes Vergnügen, aber immerhin ein interessanter Versuch. So interessant, daß man sich auch getrost den Nachfolgeband McSweeney´s Enchanted Chamber of Astonishing Stories (beide: Vintage Books) zulegen kann ...
Dr. Trash
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