Kolumnen_Miststück der Woche - V/026: Best Exotic Marigold Hotel

Reinhard Mey: "Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten"

Wie sagt eine alte Bauernregel? "Wenn es im April aus allen Rohren pißt, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist." Was allermeistens sowieso der Fall ist ... Manfred Prescher weiß das natürlich, trotzdem glaubt er immer noch daran, daß sich auf Gottes weitem Rund doch etwas ändert. Und daß manches so bleibt, wie es war - zum Beispiel Reinhard Mey.    15.07.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Kennt Ihr Alfons Yondraschek? Nicht? Dann helfe ich Euch auf die Sprünge: Nein, der wohnte nicht mit den Herren Hannes Wader, Wolfgang "Schobert" Schulz und Reinhard Mey bei der rundlichen Frau Pohl in der Dachgeschoßwohnung. Aber falls ihr Fans von Mey seid, erinnert ihr euch sicher an "Ankomme Freitag, den 13." - in dem Lied geht alles drunter und drüber, inklusive eines Fehlanrufs: "Das Telefon klingelt: 'Nein, ich schwöre, falsch verbunden. Ich bin ganz bestimmt nicht Alfons Yondrascheck' – noch viereinhalb Stunden." Von "kennen" kann man also eigentlich nicht schreiben, oder?

Herr Mey trieb seinerzeit Schabernack mit uns. Ihm ist  der Yondraschek bestens bekannt, denn es handelt sich um eines seiner Pseudonyme. Unter diesem ungewöhnlichen Namen schrieb er für das Duo Inga & Wolf "Gute Nacht Freunde" - und die landeten damit beim deutschen Vorentscheid zum Eurovisions-Grandprix hinter Cindy & Bert, Mary Roos und Su Kramer nur auf dem vierten Platz. Und das, obwohl es bei dem Liederwettbewerb seinerzeit - zumindest dem Titel nach - um Chansons gehen sollte.

Es gibt auch in meinem Umfeld kritische Geister, die Mey gern und bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Nähe zum Schlager rücken, aber diese Leute irren. Bloß, weil jemand selten radikale Sprüche hinausposaunt und nicht mit irgendwelchen Wölfen heult, ist er kein "Schlagerfuzzi" (Lindenberg). Mey kennt den Unterschied - und bezeichnet sich deshalb als "Liedermacher", wie er mir in einem Radiointerview erklärte: "Ein Lied erzählt eine Geschichte, die authentisch ist, die aus dem Leben schöpft. Es schildert Befindlichkeiten dessen, was um uns herum ist. Schlager liefern Klischees oder bringen einfach nur dümmliche Aneinanderreihungen von Abzählversen."

Mey hat sich dem Mitklatschtrubel zwar hin und wieder angenähert, ist damit aber jedes Mal gescheitert. "Hossa, hossa" und "Es wird Rabatz gemacht bis morgen früh, Mohikana Shalali" sind nicht seine Welt. Der Aufruf zur Revolution oder radikale Parolen sind allerdings auch nicht seines, weswegen ihn viele Linke früher als "Reaktionär" oder - genauso schlimm - als "harmlosen Spinner" abtaten. Daß er mit Hannes Wader bei Frau Pohl wohnte und ihm half, als dieser unter Verdacht geriet, der Baader-Meinhof-Bande anzugehören, daß er überdies mit jenem Wader und Conny Wecker gern musiziert, ändert an der immer noch weitverbreiteten Meinung nichts. Ihm ist das egal, er läßt sich sowieso nicht vor irgendeinen Karren spannen. Als leidenschaftlicher Autofahrer sitzt er lieber selber am Steuer seines Oldtimers. Was er denkt, paßt einfach nicht an einen Knopf an seiner Brust. Schon eher kann er es auf seine vielen Studioalben voller handgemachter Lieder - ich würde sagen: voller Chansons - verteilen, kritische Verse und ernsthaft Ernstzunehmendes inklusive. Bestürzend ist für mich immer noch die "Ich-Erzählung" übere inen unschuldig im Knast sitzenden Menschen: "In Tyrannis (Von Wand zu Wand sind es vier Schritte)".

 

 

Und nun soll Mey also mit dem neuen Album "Das Haus an der Ampel" altersmilde geworden sein, wie in Kritiken zu lesen ist? Dabei war er immer schon, meist mit Bedacht und viel Geschick, auch - und trotz "Annabell", "Diplomatenjagd" oder "Der Mörder ist immer der der Gärtner" - ein sanfter Poet; einer, der Worte der Liebe fand, die sich noch nicht mal inhaltlich auf "Triebe" reimen mußten. Unpeinlich, unaufdringlich und liebevoll auch in Details - selbst seinem alten Kanapee gegenüber war er zärtlich. Mit Recht natürlich. Liebeslieder wie "Irgendwie Irgendwo" oder "Manchmal wünscht´ ich" kann er herzergreifend gut, obwohl - oder weil - er eben nicht wie Orpheus singen kann. Er, der uns immer wieder sagt, daß er nicht die richtigen Worte findet, hat sie gerade deshalb gefunden. Dieses scheinbare Paradoxon umschreibt die große Gabe des 77jährigen Künstlers.

Reinhard Mey wird dieses Jahr schon 78. Man merkt es an der Stimme, die zwar noch kraftvoll betont, aber manchmal brüchig wirkt, so wie beim alten Johnny Cash auf den "American Recordings" unter Rick Rubin. Er ist, wie Cash, nicht getrieben, noch etwas machen zu müssen - aber auch Mey macht es mit viel Liebe. Dazu kommt sein typischer Blickwinkel von irgendwo schräg nach oben, unten oder zur Seite - vielleicht vom mit ihm alt gewordenen Liegesofa aus. Ausnahme ist "Im Hotel zum Gang der ewigen Zeiten". Will man die Cash-Analogie weiterführen, was ich hiermit tue, dann ist dieses ungewöhnliche Lied sein "The Man Who Couldn´t Cry". Mein Tip am Rande: Hört euch die beiden Songs - besser: diese Geschichten - einfach mal an.

Was für ein Hotel ist das, das Mey beschreibt? Es ist nicht das "Heartbreak Hotel" von Elvis - oder das "Hotel zur Einsamkeit", wie es Ralf Bendix anno 1956 bewohnte. Dort wohnten ja traurige junge Kerle, die noch zu ungestüm, zu pickelig, zu pubertär für die Damenwelt waren. Weil sich bei den Jünglingen "Liebe" halt doch auf "Triebe" reimte. "Wer dort hingeht, ist allein", singt Bendix. Bis dann doch "die Richtige" kommt, ihn an der Lobby abholt und ihn mitnimmt, wohin auch immer. "Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten" sind alle Hahnenkämpfe längst geschlagen, ist alles Getechtel Teil der Erinnerung und das Gebalze ist mit dem wachsenden Harndrang leiser geworden und schließlich verebbt. Wer in diesem Etablissement wohnt, hat vor Ewigkeiten bereits herausgefunden, was wichtig ist, hat geliebt, gelacht, geweint. Er hat gelebt, gesiegt und dann doch alles verloren. Denn darum geht es: Hier ist man gestrandet, wartet gemeinsam allein, jeder an seinem Tischchen sitzend und an die alten Zeiten denkend, auf ein unweigerliches Ende. Denn nicht erst seit Hans Fallada weiß man, daß jeder für sich allein zu sterben hat.

 

"Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten/Hoch über´m Kliff mit den Fenstern zur See/Warten sie wortlos, die Blicke entgleiten/In ziellose Weiten, sie sitzen in Lehm/Geborgen, geschützt, in winzigen Nischen/Die Schar alter Kinder auf Klassenfahrt/Jedes für sich an winzigen Tischen/Die Gesten in stillem Lächeln erstarrt/Verirrte Seelen, schiffbrüchig gestrandet/Auf dem verwunschenen Eiland gelandet/Im alten ehrwürdigen Haus über´m Meer." So ist das mit dem Weltenlauf - den halten weder Ochs noch Esel auf, auch nicht die stärksten Männer und Frauen. Denn irgendwann läßt die Kraft unweigerlich nach. Das wird der nächsten Generation wieder genauso gehen, so viel steht fest.

Reinhard Meys Lied ist - das ist nun wieder typisch für ihn - schön und doch auch sehr traurig in seiner erkennbaren Aussichtslosigkeit. Das ist nicht schlimm, denn das Album besteht ansonsten nicht aus Todesahnungen oder irgendwelchen Menetekeln. Nein, er besingt Alltägliches und Schönes, etwa Menschen, die Eis essen oder die besten Freunde. Dieses Mal sagt er nicht "Gute Nacht" zu ihnen und bedankt sich bei ihnen auch nicht für Speis und Trank. Die Freunde bleiben nämlich bis zum Schluß, bis der Sensenmann kommt: "Doppelte Freude, geteilte Last/Glück ist, wenn du Freunde hast" - das ist allemal besser als allein "Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten" auf den Tod zu warten.

 

 

Ich genehmige mir jetzt einen "Salty Dog" und trink auf die Jungs, die mit mir seinerzeit auf allen Weltmeeren unterwegs waren, mit denen ich trotz manch Mast- und Schotbruch jeden Sturm überstanden habe. Nächste Woche bin ich dann wieder auf der Brücke und blicke für euch nach Österreich: In der kommenden Kolumne wird es dann einerseits um den Nino aus Wien, anderseits um Ursula Strauss und Ernst Molden gehen. Und nun sage ich mit den Worten von Alfred Yondraschek: "Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab´!"

Manfred Prescher

Reinhard Mey - Im Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten

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Fotos: © Universal Music

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