Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Mattscheibe

Dr. Trash empfiehlt: Weinen Sie mit ihm einem Übersetzer nach: Andreas Brandhorst. Der war nämlich im Sommer 2005, als diese Kolumne entstand, noch für die deutschen Fassungen der "Scheibenwelt"-Romane zuständig. Das soeben erschienene neue Pratchett-Buch "Schöne Scheine" hat ein anderer übersetzt. Und das liegt alles nur daran, daß niemand auf den Doc hört ...    14.11.2007

Da geht die Post ab, wie unsere bundesdeutschen Nachbarn sagen würden! Da steppt der Bär! Da fliegt einem doch ...

Ganz ruhig, Dr. Trash! Rufen Sie sich selbst zur Ordnung. Machen Sie sich nichts draus, daß die Piefkes auch in diesem feuchten Sommer in Österreich lärmten. Die müssen das tun. Dazu sind sie da. Und Sie, Doc, hatten doch Ihre Unterhaltung - oder?

Ja, hatte ich (antwortet der Doktor, der in den Monaten ohne R noch mehr zu Selbstgesprächen neigt als sonst). Jedes Jahr im August lese ich den neuen "Scheibenwelt"-Roman von Terry Pratchett, wohl wissend, daß die in England im Durchschnitt immer schon einen voraus sind, doch sogar das ist mir egal. Dabei bin ich ein notorischer Stänkerer, was deutsche Fassungen angloamerikanischer Bücher betrifft. Aber mit Andreas Brandhorst hat Pratchett einen so kongenialen Übersetzer gefunden, daß man sich gar nicht ans Original gewöhnen will. Dazu muß man nämlich wissen ...

Halt, Doc, wirft der Doc ein. Kommen Sie da nicht etwas vom Thema ab? Will der geneigte Leser das denn wirklich alles wissen?

Der Leser hat das zu ästimiereren, was ihm vorgesetzt wird. Schließlich ist das meine Kolumne.

Unsere.

Na gut, unsere. Also, bitte: Der Scheibenwelt-Zyklus begann mit dem Roman "Die Farben der Magie" und war anfangs eine reine Parodie des Fantasy-Genres, mit Persiflagen auf die absurden Figuren und Plots, die man gemeinhin in diesen Endlosserien findet. Die späteren Werke erfreuten hingegen durch absolut eigenständige Geschichten, glaubwürdige Gestalten, ihre feinere Klinge und unüberlesbare Anspielungen auf die moderne Welt. Und der aktuelle Roman ...

... in seiner deutschen Übersetzung …

Richtig. Also, der aktuelle Roman "Ab die Post" ist wohl der beste Pratchett seit Jahren. Die Geschichte aus der Phantasiegroßstadt Ankh-Morpork, wo die Hauptpost seit Jahren aus Gründen haltloser Privatisierung vor sich hinvergammelt, bis der schlaue Herrscher beschließt, einen Berufsgauner zum Postminister zu machen, überzeugt in jeder Hinsicht. Da stimmt einfach alles, bis hin zur Scheibenwelt-Version des Internet, den Klackertürmen und ihren verbrecherisch gierigen Betreibern. Alles. Und man kann besten Gewissens behaupten, daß Terry Pratchett der bessere Douglas Adams ist, weil der nach "Per Anhalter durch die Galaxis" ohnehin nie mehr etwas wirklich Gutes geschrieben hat.

Außerdem ist Adams tot, Doc.

Auch das mag ein Grund sein, Doc. Aber jetzt lassen Sie mich in Ruhe. Die warme Jahreszeit ist noch nicht vorbei - und ich habe soeben beschlossen, alle Scheibenweltbücher noch einmal zu lesen. Ist ja auch viel gescheiter, als mit mir selbst Konversation zu betreiben.

Aber ...

Und aus.

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht. 

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