Kolumnen_Miststück der Woche - V/030: Silver Linings

Tricky feat. Marta: "Fall Please"

Er war so lange der Hoffnungsträger, bis er nicht mehr wußte, worauf er selbst hoffen sollte. Nun ist Tricky - sehr zur Freude von Manfred Prescher - wieder da. Der Kolumnist freut sich über die neue Musik und möchte eigentlich den Begriff "TripHop" links oder rechts liegen lassen. Aber das funktioniert nur bedingt.    12.08.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


"This speech is my recital, I think it´s very vital/To rock a rhyme/That´s right on time/It´s tricky is the title, here we go", heißt es in einem alten Gassenhauer von Run DMC. Ja, es ist Tricky, was man auf dem 14. Studioalbum von Adrian Nicholas Matthews Thaws zu hören bekommt - "Fall To Pieces" zeigt Tricky, wie Herr Thaws sich im künstlerischen Leben nennt, von seiner allerbesten Seite. Das ist wunderbarer TripHop, fast so elegant-eloquent wie damals in der Kreidezeit, als er mit "Maxinquaye" oder "Pre-Millennium Tension" zu einem der musikalischen Obermuftis Bristols - und damit des TripHop - wurde.

Aber jetzt lassen wir das mit dem Rückblick und dem Endachtziger-Frühneunziger-Sound des swinging Südwestens von Britannien auch gleich wieder. Tricky selbst mag den Begriff, den man seinerzeit für Massive Attack, Portishead, Morcheeba oder auch ihn erfand, um die Musik besser verkaufen zu können, ganz und gar nicht. Im Gespräch mit dem Kolumnisten meinte er anno 1998, daß mit dem so etikettierten Sound auch die Seelen der Künstler - und damit seine eigene - mitverscherbelt werden. Da nun, wie schon der große niederbayrische Philosoph Fredl Fesl postulierte, die "Seele ein Gas" ist, bestand die Gefahr, daß sie sich bei diesem Prozeß, den man auch Kapitalismus nennt, verflüchtigte.

Der eine oder andere Künstler verlor sich tatsächlich im Geflecht aus Marketing-Gesetzen und Forderungen von Fans oder Plattenfirmen. Auch Tricky ging es so, er wurde krank, litt lange Jahre immer wieder an schwerer Depression.Und: Öffentlich verfluchte er den Tag, an dem jemand auf die Idee kam, seine Musik mit den Sounds anderer Leute in ein und denselben Topf zu stecken, das Ganze umzurühren und es eben nicht "Galama", sondern "TripHop" zu nennen. Es war, sagte er, der Erfolg, der ihm zwar nicht zu Kopf stieg, sich aber in sein Gemüt versenkte.

 

 

Tricky zog verschiedene Konsequenzen aus seiner Krankheit: Zunächst einmal versuchte er sich ganz ordentlich als Schauspieler, etwa in Luc Bessons "Das fünfte Element" oder in "Go Now, Clean", wo er allerdings sich selbst und seine Unsicherheit mimte. Musikalisch kollaborierte er mit Gott und der Welt, was regelmäßig in ein Meer der Belanglosigkeit mündete - und er vermasselte ausgerechnet die Platte, die er unter seinem Klarnamen veröffentlichte. Das hätte eine Chance sein können, vom TripHop-Zug abzuspringen, bevor dieser - wie seinerzeit jene legendäre Dampflok, die im Kopfbahnhof Montparnasse nicht zum Stehen kam - vom ersten Stock des Gebäudes aus auf das Trottoir stürzt. Als Künstler war Tricky ausgebrannt. Er zog die Reißleine, bremste sein Leben ab, verließ seine Heimatstadt und zog dorthin, wo einst David Bowie, Iggy Pop oder Nick Cave versuchten, sich wiederzufinden. Seit 2015 lebt er also in Berlin, tauschte die beschauliche Hafenstadt und ihre halbe Million Einwohner gegen die deutsche Metropole, in der das Leben pulsiert und in der viele von der seit 1904 schon oft besungenen Berliner Luft berauscht "Ich will mehr! Ich will noch mehr" schreien.

Tricky scheint sich aber zwischen Spree und Havel wohlzufühlen. Immerhin lernte er hier auch die Polin Marta Złakowskak ennen. Die junge Frau aus Krakau ist eine famose Sängerin und Frontfrau der - genau - TripHop-Formation Meeow. Es mag ja eine Binsenweisheit sein, daß Krakau nicht Bristol ist und man daher dort kein Problem mit dem Signet hat, das Tricky so stört, aber es stimmt schon. Meeow transferieren das, was Tricky und Co. seinerzeit machten, mit viel Ehrerbietung ins Hier und Jetzt.

Deshalb tut Marta Złakowska dem britischen Ex-Star so gut. Sie holt ihn, mit Talent und ohne den Überbau der Popmusik-Historie im Tornister herumzutragen, wieder zurück auf die Spur. Man sieht es bei den gemeinsamen Auftritten, deren Videos man im Netz auch finden kann - und man hört es ab Anfang September auch auf neun der elf Songs des neuen Großwerks "Fall To Pieces". Der Titel des Albums erinnert mich an einen Song, den die von mir hochverehrte Patsy Cline vor Jahrzehnten zum Hit machte: "I Fall To Pieces" war die Vertonung des Zusammenbruchs, der in der Auflösung der "strukturellen Integrität" ("Star Trek: Voyager") gipfeln kann. Aber nicht bei Tricky. Zumindest nicht jetzt. Marta sammelt nämlich die Einzelteile ein und fügt sie liebevoll wieder zusammen. Sie sorgt mit ihrer warmen und präzisen Stimme dafür, daß zwar kein Schuh, aber doch schöne Musik draus wird.

 

 

 

Nun klingt der auch schon 52-jährige Brite wieder soulful und damit positiv. Die Vorabsingle "Fall Please" verdeutlicht das: Es geht nicht mehr um die kräftezehrende Allianz von Hinfallen und Wiederaufstehen. Nein, hier rät und bittet Marta den alten Haudegen, den sie so verehrt, sich fallen zu lassen. Was er auch musikalisch tut. Tricky erzeugt weiche Sounds, die mit Martas Gesang perfekt harmonieren. Und sie? Sie kümmert sich darum, daß nichts ausartet. Die Tracks sind überraschenderweise sehr kurz; der längste schafft es auf gerade einmal knapp 3:30 Minuten, "Fall Please" endet nach nicht einmal zweieinhalb Minuten. Zeit für Gedaddel oder Gedudel - also für das, was Tricky in den schlechten Lebensphasen "experimentell" nannte - bleibt nicht. Das englisch-polnische Duo bring es auf den hier nicht springenden, sondern sacht groovenden Punkt. It´s Tricky!

 

Nächste Woche gibt es natürlich wieder eine neue Kolumne - das 398. "Miststück" steht vor der virtuellen Tür und wartet darauf, von Euch reingelassen zu werden. Damit läute ich so allmählich das große Jubiläum ein. Zunächst widme ich mich einem meiner absoluten Lieblingskünstler und einem zeitlosen Song - es wird um Burt Bacharach gehen. Welches Lied ich in den Mittelpunkt des Textes rücke, verrate ich noch nicht.

Ja, das Jubiläum steht vor der Tür, und wir feiern es mit einem mehrteiligen Interview, das liebe Kollegen - CarmiKaze und Jens Buchholz - mit mir führten, mit einem Gewinnspiel und einem besonderen Text zur 400. Ausgabe. Danach wird sowieso alles ganz anders, bleibt dabei aber trotzdem, wie es ist. Launig. Mal mit dem vorgespanntem "Übel" als Zugpferd, mal nicht. Also freut euch mit mir auf das, was kommt. Laßt euch einfach fallen, denn mir wird sicher wieder was einfallen. Wie sagte schließlich schon Sledge Hammer selig: "Vertraun Sie mir, ich weiß, was ich tue!"

Manfred Prescher

Tricky feat. Marta - Fall Please

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Photo: © Domino Records/Eric Weiss

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