Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen

Entkalker

Dr. Trash empfiehlt: Seid´s ned deppert! Auch wenn diese Anweisung heute alles andere als leicht zu befolgen ist. Die Blödmaschinen haben nämlich längst die Kontrolle über alle Medien, Politiker und Lebensäußerungen - ob "konservativ" oder "progressiv" - übernommen. Da hilft nur mehr der tägliche Neustart des eigenen Gehirns.    24.06.2013

"Das Kleinstädtische ist die Lösung für ein Dilemma: Nur hier können Kontrolle und Geselligkeit vollständig übereinstimmen. In der calvinistischen Kleinstadt dürfen die Menschen zwar einerseits durchaus ihre Schwächen zeigen und sich, die nötige Geste der Reue vorausgesetzt, der Unterstützung durch ihre Mitbürger sicher sein, verboten ist indes, ein Geheimnis zu haben oder gar eines zu sein."

Wem sagen Sie das?!

Der Doc hat ja mittlerweile auch seine Erfahrungen mit Kleinstädten und kann obige Sätze aus dem herausragenden Buch Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität von Markus Metz und Georg Seeßlen unterschreiben. Wie so vieles aus diesem Werk, das - er muß es zugeben - seit Mai 2011 bei ihm herumkugelt und der Lektüre harrt. Die Ursache für diese Verzögerung ist nicht (nur) Faulheit, sondern auch der in der Kritik und im Journalismus allgemein unbeliebte Gedanke, daß manche Dinge einfach abliegen müssen, bevor man sich ihnen in aller Ruhe zuwendet. Wahrscheinlich ist sowieso auch der Aktualitätszwang eine Blödmaschine, so wie das deutschsprachige Feuilleton, diese Ansammlung langweiliger Besserwisser, die sich beim Lesen dieses Buches garantiert nicht betroffen gefühlt haben.

Seeßlen (übrigens einer der wenigen Filmexperten, dessen Schriften der Doc seit erstaunlich langer Zeit gern liest) und Metz liefern nämlich auf sehr gekonnte Weise Argumente für ihre These, daß nicht nur der Reality-TV- und "Lindenstraße"-Zuseher, nicht nur der Bild/Österreich-Leser, sondern auch all deren bildungsbürgerliche Kritiker und die notorischen Kulturpessimisten nichts als reibungslos funktionierende Zahnräder in den Blödmaschinen unserer postkapitalistisch-neoliberalen Gesellschaft sind. Dummheit in ihren verschiedenen Spielarten ist Lebensprinzip, keine Lebensäußerung ist mehr authentisch (wie man etwa merkt, wenn sich der Sexualpartner plötzlich so verhält wie die Vorbilder aus dem Porno), Schwachsinn ist und hat System. Daß derart weise Worte im Gewand eines Taschenbuchs der edition suhrkamp (formal auch seit Jahrzehnten eine bewährte Blödmaschine) daherkommen, macht sie umso subversiver; zudem darf man sich zwischen Philosophie und Soziologie immer wieder an Abhandlungen zu Themen wie dem Überraschungsei sowie äußerst originellen Formulierungen erfreuen.

Wer Metz/Seeßlen erst blöd "abtesten" möchte, besorgt sich ihr gerade erschienenes Pamphlet Kapitalismus als Spektakel (edition suhrkamp digital, aber trotzdem ein Büchlein von 92 Seiten); wer dann nicht genug kriegt, greift zum ebenfalls genialen Werk Wir Untote (Matthes & Seitz) und erfährt, was Posthumanismus mit Zombies zu tun hat.

Man muß ja nicht blöd sterben ...

Dr. Trash

Dr. Trash empfiehlt


erscheint in gedruckter Form in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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