Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Sachlage
Dr. Trash empfiehlt: Sparen Sie sich Sachbücher aus dem aktuellen Wirtschafts-, Politik- und Umweltpanik-Leben. Die sind nach ein paar Monaten sowieso schon unaktuell. Was der Doc jedoch an obskuren, apokalyptischen und durchaus kryptischen Werken aufgetrieben hat, ist auch fast zwei Jahre nach dem ursprünglichen Erscheinen seiner Kolumne noch lesenswert.
12.12.2007
Die Sache mit den Sachbüchern ist so: auf die meisten kann man verzichten. Mir braucht keiner die Welt zu erklären, die ich eh schon aus dem sogenannten realen Leben kenne - und Psyche habe ich Gott sei Dank keine, also fallen auch Machwerke über Unterbewußtsein und Esoterik weg. Was ich will, sind umfassende Kompendien zu Obskurantenthemen; wichtige Werke wirrer Wissenschaftler, wenn´s wär ...
Zum Beispiel Der Voynich-Code (Rogner & Bernhard/Zweitausendeins), obwohl das von Journalisten - Gerry Kennedy & Rob Churchill - verfaßt wurde, aber schon wegen des Untertitels "Das Buch, das niemand lesen kann". Sowas hat ein Doktor gern. Besagtes Buch ist ein Manuskript, das 1912 vom Antiquar Wilfrid Voynich in Italien entdeckt wurde und heute in der Bibliothek der amerikanischen Yale University steht: 246 Seiten voller seltsamer Symbole und Abbildungen, die niemand entziffern kann. Die Autoren berichten über die spannende Geschichte dieses Codes, die Entschlüsselungsversuche von Kryptologen und Sprachforschern - und die Möglichkeit, daß es sich vielleicht um einen genialen Schwindel handelt.
Weniger rätselhaft (zumindest rückblickend) war der "Schwarze Tod", der Europa in drei großen Pandemien überrollte. In dem von Mischa Meier herausgegebenen Band Pest - Die Geschichte eines Menschheitstraumas (Klett-Cotta) befassen sich Historiker, Mediziner und Kulturwissenschaftler mit dieser Krankheit, Seuchen im allgemeinen und der Reaktion der Menschheit darauf. Ein bißchen trocken, aber gut als Vorbereitung für die Vogelgrippe ...
Die wird uns ja wahrscheinlich so bald erwischen, daß selbst flinke Forscher keine Zeit mehr haben werden, Ray Kurzweils Visionen in The Singularity Is Near (Viking) zu verwirklichen. Dabei lesen sich die so interessant und vielversprechend, daß man sich am liebsten gleich für 100 Jahre einfrieren lassen würde, um das alles noch erleben zu dürfen: Menschen, die mit intelligenten Maschinen zusammenwachsen, in Virtual Realities leben und praktisch unsterblich sind. Ich kenne zwar etliche Leute, denen ich das alles nicht vergönne, aber mich fragt ja keiner.
Daher schleiche ich mich jetzt zum Schreibtisch unseres Krimiexperten und stehle ihm Jean-Patrick Manchettes Buch Chroniques - Essays zum Roman noir (Distel-Literaturverlag), weil das auch ein Sachbuch nach meinem Gusto ist. Immerhin hat es selten einer so plausibel geschafft wie der französische Experte für anspruchsvolle Düsterkrimis, sein Genre als perfekte literarische Spiegelung unserer Realität darzustellen. Es schaut nämlich wahrlich düster aus - und da müssen moralische Überlegungen zurückstehen. Aber wer erklärt das dem Krimiexperten?
Dr. Trash
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