Kolumnen_Unerwünschte Nebenwirkungen
Heldenlieder
Dr. Trash empfiehlt: Fallen Sie nicht aufs falsche "virale Marketing" rein - wenn man Ihnen wieder einmal sowas wie Schweinegrippe oder Zeckenpest einreden will. Studieren Sie lieber die Vermarktungs- und Fan-Universen von phantastischen "properties". Dort gibt es genug Möglichkeiten, sich anzustecken. Mit Begeisterung zum Beispiel.
05.06.2009
Heute wird mehr gelesen als je zuvor.
So so, denken Sie jetzt wahrscheinlich. Fängt der Doc also schon wieder mit einem seiner provokanten Sätze an ... Aber es stimmt: Die Anzahl der Leser hat zugenommen - und zwar nicht nur in absoluten Zahlen (weil es halt mehr Menschen auf der Welt gibt), sondern auch in relativen. Wir, die wir mit Büchern aufgewachsen sind, müssen nur unseren überkommenen Begriff von Lektüre aufgeben und uns ansehen, was da alles an Lesestoff herumschwirrt. Das fängt mit altmodischen Druckwerken wie Büchern und Comics an, setzt sich über E-Book-Experimente und Klassiker-Online-Archive fort und hört bei Literatur in Weblogs, auf Handys sowie iPods oder im CD-Format noch lange nicht auf. Und auch die Art, wie wir geschriebene Worte konsumieren - wenn wir uns darauf einlassen -, ist nicht mehr dieselbe, lineare wie vor 30 oder 40 Jahren. In den Nullenjahren des neuen Jahrtausends ist aus dem Lesen eine Art Rätselrallye geworden, ein Detektivspiel, das uns quer durch die Medienwelt nach Fortsetzungen, Hinweisen und neuen Inhalten suchen läßt, wie in einer formalen Weiterführung von Andreas Okopenkos "Lexikonroman" aus dem Jahre 1970. Aus dem Gefundenen setzen wir dann in unseren Köpfen und auf unseren Festplatten neue Welten oder gar Universen zusammen, denen man auch mit dem nächsten Informationskrümel gern wieder einen Besuch abstattet.
Nehmen wir als Beispiel Heroes her. "Aber das ist doch eine Fernsehserie!" empören sich Pop-Kundige an dieser Stelle. Richtig. Doch die mittlerweile drei Staffeln lange Geschichte ganz normaler Menschen, die plötzlich außergewöhnliche Fähigkeiten entwickeln und zu Superhelden oder -schurken werden, ist viel mehr als das. Die Idee ist zwar nichts Neues und wurde schon ausführlich in der Romanreihe "Wild Cards" behandelt, von der in der allerersten dieser Kolumnen die Rede war - doch "Heroes" wird von der ersten Stunde an durch Webcomics, offizielle und fingierte Websites mit vielen Zusatzinformationen, interaktive "iStories", Handy-Inhalte, Promo-Kooperationen, DVD-Extras, ein Roman-Spin-off ("Saving Charlie", leider eine eher schwache Meldung), Webisodes usw. usf. begleitet.
Ob man das auf modern "viral marketing" oder "projectile vomiting" nennt, weiß der Doc nicht so genau, und es ist ihm auch egal. Fest steht aber, daß man auf der Suche nach der gesamten Handlung, nach jedem einzelnen Helden, den die vifen Macher erfunden haben, viel Zeit mit Lesen verbringt. Und das gilt nicht nur für "Heroes", sondern auch für die absolut mysteriöse Mystery-Serie "Lost". Oder für Filme wie "Cloverfield".
Lesen wir also weiter. "Dann sind wir Helden - für einen Tag ..." Oder auch viel länger.
Dr. Trash
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