Musik_CD-Tips der Woche

Von St. Pauli bis Rom

Ob es in Sachen Lebensqualität im Computerstaat noch einmal aufwärts geht, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Doch die passenden Beats haben wir auch diese Woche parat.    22.06.2007

Manfred Prescher

Art Brut - It´s A Bit Complicated

ØØØØ

EMI (GB 2007)


Kollege Christoph Prenner hat natürlich Recht: Ein drittes Mal wird die Masche von Eddie Argos nicht mehr klappen. Aber im Augenblick funktioniert die Mischung aus punkigem Pop und spätadoleszenten Texten ganz ausgezeichnet. Also unterhalten wir uns wieder prima mit der selbsternannten Künstlerorganisation und genießen die Tatsache, daß sie im Twen-Alter immer noch mit beiden Beinen mitten in den pickligen Jahren der Pubertät steht. Der Halbkreiswinkelmesser und das Zeichendreieck auf dem Cover des zweiten Albums stehen wahrscheinlich für nicht verarbeiteten Geometrieunterricht. Weil das wahrscheinlich kollektive Erfahrungen sind, wird "It´s A Bit Complicated" vielen Menschen aus dem Herzen sprechen - vor allem denjenigen, die noch Mix-Tapes an ihre Angebeten schicken ("Nag Nag Nag Nag") und sich einen Rest Pennälerhumor erhalten haben.

In diese Kategorie fällt zum Beispiel der CD-Titel, besagt er doch, daß es schwierig war, mit der Bürde des Erfolgdebüts ins Studio zu gehen. Der Witz dabei: Die Songs klingen so, als sei das Ganze doch nicht so tragisch gewesen. Das gilt auch für "Jealous Guy", "I Will Survive" und "Pump Up The Volume". Die drei Lieder haben übrigens rein gar nichts mit den bekannten Hits von John Lennon/Bryan Ferry, Gloria Gaynor/Gladys Knight oder M/a/r/r/s zu tun. Es sind keine Cover-Versionen, sondern echte Originale von Art Brut. Für die mächtigen Hymnen "Direct Hit" und "St. Pauli" sollte man der Band ein Denkmal setzen. Auf jeden Fall zeigen sie, daß die Briten nicht nur lustig, sondern auch gut sind. Und das läßt auch für Album Nummer drei irgendwie doch wieder hoffen.

Links:

The White Stripes - Icky Thump

ØØØØ

Beggars Group (USA 2007)


Auf dem Festival "Rock im Park" waren die Whites große Klasse. Sie rockten Blues, Country und Indie-Metal, daß selbst den Raconteurs Hören und Sehen vergehen würde. Das sechste Album, das sie beim Festival promoteten, ist da schon anderer Natur: Es steht zwar in direkter Verbindung zu den Vorgängern, ist auch ein nachvollziehbarer Schritt in Richtung Massenkompatibilität, aber es will nicht mehr immer und überall kicken. Das Titelstück, mit dem das Werk auch beginnt, steht in der Tradition früher Black-Sabbath-Hämmer (siehe unser "Miststück der Woche", Pt. 82) und kommt richtig zur Sache, Fiepstöne inklusive. Danach geht der Hörer durch ein musikalisches Wechselbad. Kein Lied ist wirklich innovativ, sodaß die ewigen Trendsetter schon jetzt von "Ausverkauf" und "Stadionmucke" schreiben. Aber wenn es in den Arenen dieser Welt die White Stripes gibt, dann bin ich gern dabei - es könnte ja auch viel schlimmer kommen.

"Icky Thump" steckt voll guter Songs und netter Ideen. Ein alter Dudelsack und Folklore-Anklänge ("Prickly Thorn, But Sweetly Worn") oder die vielen Country-Zitate, die letztlich im Patti-Page-Cover "Conquest" gipfeln, zeigen das Können des ungleichen Paares. Ihr Umzug vom Moloch Detroit nach Los Angeles, in die Heimat des Stadionrocks, beziehungsweise Nashville, die Wiege des Stadion-Country-Style, mag für die deutlich spürbare Abkehr vom Noise-Trash verantwortlich sein. Wahrscheinlich ist es aber die extrem knackige, sicher sehr teure Produktion, die den Unterschied zu den Frühwerken ausmacht, jedoch in direkter Linie zum letzten Werk "Get Behind Me Satan" steht. Die White Stripes entwickeln sich zu sowas wie Guns´n´Roses für Intellektuelle. So lange sie bitter-schöne Lieder wie "You Don´t Know What Love Is (You Just Do As You´re Told)" oder "Catch Hell Blues" schreiben, ist das schwer in Ordnung.

Links:

Abwärts - Rom

ØØØØ

Cargo Records (D 2007)


Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Und wahrscheinlich hat Kaiser Nero die Stadt auch nicht innerhalb 24 Stunden in Schutt und Asche gelegt. Weil Veränderungen zum Guten wie zum Schlechten Zeit brauchen, beschreibt Frank Ziegert seit Ende der 70er die gesellschaftlichen Zustände. Zum Umsturz ist es bislang nicht gekommen; allerdings leben wir in genau dem "Computerstaat", den er uns von knapp drei Jahrzehnten prophezeite. "Der Westen ist einsam" - und auch das stimmt, trotz oder wegen aller Osterweiterung. Wer die immer noch wichtigen Songs von Abwärts nachhören will, dem sei die Doppel-CD "Breaking News" empfohlen. Von der Urbesetzung ist heute nur noch Ziegert dabei, aber das aufrechte gallische Dorf unter den Textern hat Musiker um sich geschart, die mit ihm das frischeste und beste Stück Punkrock mindestens seit dem unterschätzten "Ich seh die Schiffe den Fluß herunterfahren" aufgenommen haben. Federführend dabei war Ärzte-Bassist Rodrigo Gonzales, der nicht nur als Gitarrist bei Abwärts dient, sondern auch dafür sorgte, daß die Produktion präzise und hart ist. Die Faust trifft mit voller Wucht, was ideal zur immer noch ungebremsten Wut und zu den düsteren Analysen Ziegerts paßt. Anspieltips sind "Spürst Du nicht den Trieb", "Der gute Mensch", "Millionenkiller" und das sehr private "Du bringst mich nicht runter". ´Til things are brighter, bleiben Abwärts wichtig.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.