Musik_CD-Tips KW 38/07

Weißes Rauschen für Jammerer

Wenn drei Platten nichts gemeinsam haben, dann diese: Eine berühmte Heulsuse trifft auf einen hartgesottenen Recken und Psychedelic-Pioniere aus den sechziger Jahren.    21.09.2007

Manfred Prescher

James Blunt - All The Lost Souls

ØØ

Warner (GB 2007)


Columbo: "Äh, Moment, ich hätte da doch noch eine Frage: Wo waren Sie 1973?" Die Antwort von James Blunt kommt wie aus der Wasserpistole geschossen: "Meistens im Mutterleib." Was auch stimmt: Der Superstar des gepflegten Heulsusen-Pops ("You´re beau-u-u-tiful") wurde erst im Februar 1974 geboren. Trotzdem heißt sein aktueller Hit "1973" - und darin tut er so, als hätte er die Zeit liebes- und beziehungsaktiv miterlebt. Der Track steckt fast so sehr voll liebevoller Zitate wie die TV-Serie "Life On Mars" und ist der beste Albert-Hammond-Song, der nicht aus dessen Feder stammt: ein charmanter Ohrwurm.

Auf Albumlänge bekommt es Blunt nicht so gut hin. Er driftet oft zu sehr ins Cat-Stevens-mäßige ab - eine Nähe, die der Brite auch optisch unterstreicht. Auf "All The Lost Souls" dominieren also der leicht wolkenverhangene Mollton und eine radiotaugliche Sanftheit, die den Zuhörer recht bald, spätestens aber nach dem dritten Song "I´ll Take Everything", langweilt. Dieser hat ein wenig von Cohens "First We Take Manhattan", ist aber bei weitem nicht so böse. Blunt ist ja ein Herzensguter, der ganz bestimmt niemandem wehtun will. Mit "Some Mistake" und "1973" sind ihm aber zumindest auch zwei richtige Perlen gelungen. Ob das reicht?

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Steve Earle - Washington Square Serenade

ØØØØØ

Blue Rose (USA 2007)


Der Songwriter aus Virginia gehört zu den Großen seiner Zunft, ohne allerdings je den Durchbruch zum verdienten Superstar-Ruhm geschafft zu haben. Im Zweifelsfalle standen ihm die Musikindustrie Nashvilles und er sich selbst im Wege: Alkohol- und Drogenprobleme begleiteten und hemmten Steve Earles Karriere, ließen allerdings Meisterwerke wie "The Hard Way", "Shut Up And Die Like An Aviator" oder "El Corazón" zu.

Mit "Washington Square Serenade", der ersten CD nach der Grammy-Gewinner-Platte und George-W.-Bush-Abrechnung "The Revolution Starts Now" (2004), ist Earle erneut ein großer Wurf gelungen. Das Album ist ein Streifzug entlang der Grenze zwischen Folk und Country; die Pete-Seeger-Hommage "Steve´s Hammer", das Tom-Waits-Cover "Way Down In The Hole" oder das bittere "Come Home To Me" ragen aus einem Dutzend luzider Perlen heraus. Das auch gemeinsam geschriebene Duett mit Ehefrau Allison Moorer ("Days Aren´t Long Enough") ist eine beeindruckend schöne, wahrhaftige Liebeserklärung. Produzent John King von den Dust Brothers (Beck, Beastie Boys) hat das Album mit sensibler Hand veredelt und ihm einen warmen, aber kraftvollen Sound verliehen.

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White Noise - An Electric Storm

ØØØØØ

Island/Universal (GB 1969/2007)


Eine Platte voller Mythen und wilder Gerüchte: Noch heute wird kolportiert, daß einige der Musiker und Studiomitarbeiter nach Abschluß der Produktion in der Klapsmühle landeten. Das ist natürlich Blödsinn, zeigt aber doch, daß White Noises "An Electric Storm" von vornherein keine Durchschnitts-Pop-LP war. Als das Werk der vom Amerikaner David Vorhaus ins Leben gerufenen Formation 1969 in die Läden kam, verstörte es Hörer und Kritik gleichermaßen. Was besonders an den beiden langen Stücken auf der zweiten Seite der Platte lag: "Black Mass: An Electric Storm in Hell" etwa ist ein Improvisationsveitstanz. Unter der Schirmherrschaft von Island-Chef Chris Blackwell hantierten White Noise mit eigens entwickelten elektronischen Gerätschaften, was die Band auf der LP-Hülle zu folgendem Satz inspirierte: "Many sounds have never been heard - by humans. Some sound waves you don´t hear - but they reach you."

Das Ergebnis geht weit über das damals übliche Psychedelic-Maß hinaus, ist brachial-noisig oder - auf Seite eins - durchaus loungig-ambientig, mit einem gerüttelt Maß an hartem Sex, etwa in "My Game Of Loving". Noch heute ist "An Electric Storm" einzigartig, das Werk klingt auch knapp drei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung modern und überirdisch zeitlos. Die frisch remasterte Version der brandneuen CD-Variante unterstreicht dies noch. Allerdings sollte man beim Hören nach den ersten fünf Stücken eine Pause einlegen, dann kommt man dem originalen LP-Konzept des Meisterwerks am nächsten.

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