Musik_CD-Tips KW 37/07

Raus mit dem Brautstrauß!

Platten für wirklich jede Gelegenheit - den Groove des Tages, den ruhigen Abend im Lehnstuhl und sämtliche anderen Zeiten. Gut sind sie alle drei.    14.09.2007

Manfred Prescher

The Gossip - Standing In The Way Of Control

ØØØØØ

Rough Trade (USA 2006); Photo: Larissa James


Mir kommt vor, daß mich diese Platte schon seit Jahren begleitet - und immer noch macht sie verdammt viel Spaß. Aber so lange ist es nun doch noch nicht her, daß mich das Trio um das süßeste Moppelchen begeistert. Im März schrieb ich ein "Miststück" über das Titelstück mit seiner Mischung aus Punk und Disco. In England sind Beth Ditto und Co. in der Zwischenzeit Stars geworden, ihr Album bekam Gold verliehen. Zwei weitere Singles wurden neben "Standing In The Way Of Control" ebenfalls zu Hits: das famose "Listen Up", das 70er-Jahre-Stampfer von Tina Charles oder Linda And The Funky Boys in die Jetztzeit transferiert, und die aktuelle Auskopplung "Jealous Girls", bei der das Style-Pendel eher in Richtung Ramones ausschlägt. Mehr Punk und weniger Discokugel - auch das funktioniert bei diesem Trio aus Portland. Das rote Gummiband, das sich durch die Platte zieht und die unterschiedlichen Tracks zusammenhält, ist die einmalige Stimme von Beth Ditto - die hat Kraft, Wärme und jede Menge Sex. Und "Standing In The Way Of Control" ist das sexieste Album des Jahres, man höre nur den Opener "Fire With Fire" oder "Coal To Diamonds". Wow!

Links:

Mark Knopfler - Kill To Get Crimson

ØØØ 1/2

Universal (GB 2007)


Es gibt Bands, die haßt man, und es gibt welche, die einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Zur letztgenannten Kategorie gehören die Dire Straits. Die - und das darf man mittlerweile mit dem Abstand von drei Jahrzehnten auch wieder ungestraft schreiben - hatten auf ihren ersten Alben wirklich große Momente. Das war, bevor sich die Gruppe in Richtung Stadionrock für Langeweiler entwickelte und reichlich "Money For Nothing" verdiente. Das ist wiederum längst Pop-Geschichte und vorbei. Denn seit Chef-Klampfer Mark Knopfler sich auf das Solo-Altenteil zurückgezogen hat, kommen zum Teil zeitlos schöne Werke heraus - etwa das elegische "The Ragpicker´s Dream" von 2002 oder "All The Roadrunning", die Kollaboration mit der großen Emmylou Harris aus dem vergangenen Jahr. "Kill To Get Crimson" ist nicht ganz so gelungen, aber immer noch eine wunderbare Platte für lange Herbstabende. Das Klischee vom beschaulichen persönlichen Dämmerzustand im Lehnstuhl paßt auf kaum eine CD besser. Deshalb kann man auch kein Stück herausheben, Hits gibt es nicht. Sie würden auch nur stören, da die zwölf Songs sachte dahinmäandern wie ein klarer Bach. Kathartische Wirkung inklusive. Daß Knopfler zwei-, dreimal die Grenze ins Land der Beliebigkeit überschreitet, ist da nicht übermäßig schlimm.

Links:

St. Vincent - Marry Me

ØØØ

Beggars Group/Indigo (USA 2007)


Es ist natürlich klar, daß Kritiker von "Platten für die einsame Insel" schreiben, wenn sich eine Künstlerin St. Vincent nennt. Irgendwie platt, aber o. k. Dabei wäre es eigentlich egal, wie sich Annie Clark nennt. Gäbe es da nicht das Elektro-Pop-Fossil mit fast gleichem Namen, hätte die Lady aus Chicago kein Pseudonym nötig. Schließlich will sie ja geheiratet werden, und auf dem Standesamt herrscht Ausweispflicht. Der Aufforderung muß natürlich niemand nachkommen; auch das Album macht Annie nicht zu everybody´s Pop-darling. Es ist sperrig, verbindet Folk mit Kate-Bush-Attitüde und John-Coltrane-Traurigkeit, Klassik mit Gospel - von allem eine Prise, dazu zum Teil sehr hübsche Kompositionen. Daß das Ergebnis oft ein wenig zu sehr nach Kunsthandwerk klingt, ist kein Wunder, bei einem Debütalbum aber absolut verzeihlich. Talent hat Annie nämlich im Übermaß, sie spielt die Mehrzahl der Instrumente selbst. Unterstützt wird sie von David Bowies Pianisten Mike Garson, Louis Schwadron von Polyphonic Spree und Brian Teasley (Man Or Astro-man?). Perfekt auf den Punkt bringt es St. Vincent beim ironischen "Jesus Saves, I Spend", beim vorab veröffentlichten "Paris Is Burning" mit seinem ungewöhnlichen Beat und beim charmanten "Your Lips Are Red".

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