Musik_CD-Tips KW 40/07

Vorwärts in die Vergangenheit

Blick zurück nach vorn? Geht so was überhaupt? Auf diesen drei Platten wird genau das versucht – mit unterschiedlichem Erfolg, findet Manfred Prescher.    05.10.2007

Manfred Prescher

Devendra Banhart - Smokey Rolls Down Thunder Canyon

ØØØ

Beggars Group/Indigo (USA 2007)


David Allen Coe rief "God damn Hippies" und Johnny Rotten stimmte mit "Never trust a Hippie" ein. Die Gegnerschaft zu den Blumenkindern stellte aber auch die einzige Gemeinsamkeit von Punks und Country-Rednecks dar. Doch ist Devendra Banhart ein Hippie? Er praktiziert zumindest optisch die Rückkehr in die sanftmütigen Spätsechziger, obwohl oder weil er als gebürtiger Texaner eigentlich genetisch eher in Richtung Coe ausschlagen müßte. Aber man soll ja erstens ein Buch nicht unbedingt nach dem Cover beurteilen, und zweitens lebte Banhart als Kind länger in Venezuela, was ebenfalls ein prägender Einfluß gewesen sein dürfte.

Hippie-Geist zeigt Banhart am ehesten durch die Freiheiten, die er sich nimmt. Er sprengt die musikalischen Fesseln des Lone-Star-Staats und umgibt sich mit Musikern aus allen Gegenden der USA. Das Ergebnis ist eine Mixtur aus Southern-Prog-Rock, Reggae, Byrds-Folk, Mariachi-Latin-Crossover, Fusion-Jazz und ausufernden Balladen mit einem Schuß Beliebigkeit. Etwas viel für den Kosmos des durchschnittlichen Hörers. Gelungen sind allerdings das nach Marc Bolan klingende "Lover" und der Doo-Wop-Swing "Shabop Shalom".

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Robert Wyatt - Comicopera

ØØØ 1/2

Rough Trade (GB 2007)


Eine Comic-Oper? "Spider-Man 3" kam dem schon recht nahe, aber Wyatt erzeugt seine Bilder nicht mit opulenter Filmtechnik, sondern ausschließlich durch Klänge. Also eine "komische Oper"? Schon eher. Der ehemalige Sänger und Schlagzeuger der - im positiven Sinn - zutiefst merkwürdigen Soft Machine komponierte tatsächlich etwas, das an eine Oper erinnert. Zumindest ist das späte Werk des Art-Rock-Gurus in drei Akte unterteilt: "Lost In Noise", "The Here And Now" und "Away With The Fairies" heißen diese opulenten Teile.

Wie auf allen Soloalben, die Wyatt seit der Trennung von Soft Machine im Jahre 1971 aufgenommen hat, läßt er sich auch hier nicht in ein Stilkonzept pressen. Unter den 16 Einzeltracks finden sich daher luftig-leichte Annäherungen an Pop ebenso wie sperrige, verspielte Kunst-Stücke, die man als jazzig bezeichnen kann. Das Album wurde übrigens teilweise in Phil Manzaneras Studio eingespielt; der Roxy-Music-Gitarrist war ebenso als Gastmusiker bei den Aufnahmen anwesend wie sein Ex-Kollege Brian Eno und Paul Weller.

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Edwyn Collins - Home Again

ØØØØ

EMI (GB 2007)


Ein 80er-Idol gibt wieder einmal ein Lebenszeichen von sich: Der Sänger, Gitarrist und Kopf der famosen Orange Juice verblüfft mit einem neuen Album, das sich ziemlich alt anhört - und das vor allem, weil sich Collins aus dem Fundus seiner Vergangenheit und dem dazugehörigen Pop-Umfeld bedient. So etwas kann man dann getrost "Home Again" nennen: Die Platte wirkt tatsächlich wie ein Zu-Hause-Ankommen nach langer Fahrt.

Sie zeigt außerdem, warum Franz Ferdinand oder auch Richard Hawley immer wieder behaupten, von Collins beeinflußt zu sein: Es ist die unnachahmliche Leichtigkeit seines Songwritings, die allenfalls noch von Paddy McAloon erreicht wird. Da stört es auch nicht, daß zum Beispiel "Written In Stone" nach spätem Nick Cave und "The I Cried" nach frühen Beatles - unter Beigabe einer Prise Glam-Rock - klingt. Mal begibt sich Collins in Richtung Country ("One Is A Lonely Number"), mal in Richtung Soul des Hi-Labels um Al Green, wie in "You´ll Never Know (My Love)". Aber so sieht´s nun einmal daheim in seinen Plattenregalen aus ...

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