Musik_Klassik-Weihnachts-Spezial

Allerlei Weihnachtliches

Wer nicht singt und kein Instrument beherrscht, ist auf Festtagsmusik aus der Konserve angewiesen - und auf die paar erwähnenswerten Neuerscheinungen dieser Sparte.    16.12.2004

Die Zeit des Friedens, der Freude und des Einkaufswahns hat wieder begonnen. Wie jedes Jahr glaubt man, daß die Hysterie noch früher losgeht - was möglicherweise auch nur ein subjektives Empfinden ist (Anm. der Red.: ... mit ziemlicher Sicherheit aber tatsächlich so ist.). Weit weniger subjektiv ist, daß die Industrie immer häufiger und schamloser versucht, den Leuten um teures Geld Schrott unter dem Deckmantel der "stillsten Zeit des Jahres" anzudrehen.

So verhält es sich natürlich auch bei der klassischen Musik. Heute glaubt schon jeder, der eine Note von Fliegenschiß unterscheiden kann, daß er eine Weihnachts-CD produzieren kann und muß. Da steht der Konsument oft vor einem Schüttkasten von CDs und weiß natürlich nicht, zu welcher er greifen kann und soll.

EVOLVER-Leser haben es da besser. In den folgenden Absätzen werden drei erlesene Scheiben mit weihnachtlicher Musik vorgestellt, die nicht nur stimmungsvoll, sondern von erlesener Qualität sind.

Die Decca hat zwei ihrer besten Aufnahmen aus den 60er Jahren wieder aufgelegt, die nicht nur für Stimmfetischisten ein Fest sind. Nummer eins ist "Joy to the World" mit Dame Joan Sutherland. Gemeinsam mit ihrem dirigierenden Gemahl Richard Bonynge führt die australische Star-Sopranistin durch 14 wundervolle Lieder, unter anderem "Marien Wiegenlied" von Max Reger und das "Ave Maria" von Schubert. Bemerkenswert sind neben der Traumstimme von Sutherland die Spitzen-Aufnahmetechnik und die tollen Arrangements der Lieder. Beim Hören glaubt man kaum, daß die Aufnahme schon 1965 entstanden ist.

Eine weitere solche Perle ist das Album "Christmas" mit Leontyne Price und Herbert von Karajan. 1961 trafen sich die schwarze Primadonna und der Maestro in den Wiener Sophiensälen, um 13 sakrale bzw. weihnachtliche Nummern auf Tonträger zu bannen. Traurig ist, daß diese Aufnahme neben der "Carmen" die einzige (offizielle) Begegnung der zwei grandiosen Künstler im Wiener Aufnahmestudio war. Price begeistert immer wieder mit ihrer einzigartigen rauchigen Stimme, die einen Stimmumfang vom Alt bis zum Sopran hat. Faszinierend, wie sie auf dieser CD das Spiritual "Sweet Li´l Jesus" singt; diese Stimmung kann kaum sonst jemand erzeugen.

Nummer drei der vorweihnachtlichen Erscheinungen hat einen alpenländischen Touch. Der musikalische US-Exportschlager Österreichs namens Trapp-Familie besang zu Beginn der Fünfziger eine Langspielplatte mit weihnachtlichen Traditionals. Meistens a-cappella singt sich das familiäre Ensemble aus dem Salzburgischen durch diverse nationale und internationale Weihnachtslieder. Das ist volkstümliche Musik vom Feinsten, weit entfernt von konventionellem Kommerzschrott wie Hinterseer & Co. Beachtlich, wie der Sound für heutige Verhältnisse remastered wurde; mit ordentlicher Tontechnik hat Musik halt keine "Jahresringe".

Wer dadurch einen Gusto auf Trapp-Familie live bekommt, kann einen Urlaub im Bundesstaat Vermont planen, wo er in der "Trapp Family Lodge" residieren kann. Ob man allerdings um viel Geld in eine Gegend fliegen muß, die man ein paar 100 km von Wien entfernt viel besser haben kann, soll jeder für sich beurteilen …

Herbert Hiess

Joy to the World

Joan Sutherland


The Ambrosian Singers; New Philharmonia Orchestra

Richard Bonynge

Decca/Universal (D 2004)

 

Links:

Christmas

Leontyne Price


Wiener Singverein; Wiener Philharmoniker

Herbert von Karajan

Decca/Universal (D 2004)

 

Links:

Christmas with the Trapp Family Singers

ØØØØØ


Deutsche Grammophon/Universal (D 2004)

 

Links:

Kommentare_

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