Musik_Neuaufnahmen und Schätze aus den Archiven

Musikalische Wiederauferstehung

Wenn ein schwarzer Opernweltstar seinen 85. Geburtstag feiert, ein sich immer rarer machender Stardirigent eine phantastische Silberscheibe herausbringt und ein Startenor sein Comeback feiert - dann muß der EVOLVER-Klassikexperte dies auch den Musikfreunden kundtun.    04.03.2012

Am 10. Februar 2012 beging die in den Südstaaten geborene Leontyne Price ihren 85. Geburtstag. Die äußerst charismatische Sängerin startete ihre Weltkarriere in den 60ern mit Herbert von Karajan, mit dem sie in Salzburg, Mailand und Wien eine langjährige Zusammenarbeit begann.

Price hat (ähnlich wie Jessye Norman) einen enormen Stimmumfang, sodaß sie sowohl Sopran- als auch Mezzopartien problemlos abdecken kann. Neben der Aida ist eine ihrer großen Glanzrollen die Leonora in Verdis Oper "Il Trovatore"; in dieser durfte sie der Autor dieser Zeilen noch live in Salzburg und Wien bewundern. Leontyne Price hat eine unglaublich modulationsfähige Stimme und ein interpretatorisches Niveau, neben denen diverse Annas und Elinas auf mikrobenhafte Größe schrumpfen.

Die Glanzleistungen der Sängerin kann man nun dank einer tollen 14-CD-Box der Plattenfirma RCA wieder bewundern. Mit ihrer Stammfirma produzierte sie viele Operngesamtaufnahmen und Arien-CDs. In der superb aufgemachten Ausgabe finden sich unter anderem ein Querschnitt aus Gershwins "Porgy and Bess" (der Porgy war übrigens ihr Kurzzeit-Ehemann William Warfield), mehrere Arien-CDs und einige Opernquerschnitte. Nicht enthalten sind die RCA-Gesamtaufnahmen von "Il Trovatore" (Mehta, Domingo) und "Carmen" (Karajan), die aber ebenfalls äußerst empfehlenswert sind.

 

Ebenfalls aus dem Hause Sony RCA kommt Nikolaus Harnoncourts neue CD mit dem kryptischen Titel "Walzer Revolutionen". Erstmals wagt sich der Dirigent mit seinem Concentus Musicus Wien an dieses Repertoire, und man ist als Hörer überrascht, welche Feinheiten das Ensemble aus der Musik von Johann Strauß Senior und Joseph Lanner herausholen kann.

Der Dirigent spannt den Bogen über die Tanzmusiken nicht nur der Neujahrskonzert-Komponisten, sondern auch zu Wolfgang Amadeus Mozart mit seinen "Kontretänzen" und den "Deutschen Tänzen" (warum Schuberts "Deutsche Tänze" fehlen, ist allerdings fraglich).

Bei der vorliegenden Aufnahme wurden ausdrücklich Originalinstrumente (nach Anweisung der Komponisten) verwendet; bis hin zu zehn Trompeten und fünf verschiedenen Klarinetten. Beim Hören der CD wünscht man sich sofort eine Wiederkehr des Maestros ans Pult des Neujahrskonzerts!

 

Der mexikanische Tenor Rolando Villazon feiert mit der Neuaufnahme von Jules Massenets Oper "Werther" wahrhaft seine musikalische Wiederauferstehung. Nach längerer Pause - verursacht durch multiple Krisen - kann er in diesem Live-Mitschnitt aus der Londoner Covent Garden Opera brillieren. Mit Sophie Koch als Charlotte führt Villazon durch Massenets Vertonung von Goethes Drama.

Mag sein, daß der sympathische Sänger nicht immer in Top-Form ist und manchmal sehr unsicher wirkt; in dieser Aufnahme stellt er sich jedoch in eine Reihe mit José Carreras, Placido Domingo, Alfredo Kraus usw. Berührende Pianissimi werden durch kraftvolle Forte-Töne abgelöst, ohne daß man je den Eindruck hat, daß der Sänger je forcieren müßte. Eine absolut hörenswerte Neuproduktion.

 

Wenn die Plattenfirmen auf ihre Archive zurückgreifen, erlebt man oft große Überraschungen. So auch mit der St. Petersburger Version von Giuseppe Verdis Oper "La Forza del Destino" ("Die Macht des Schicksals") in einer Produktion der Kirov-Oper aus St. Petersburg. Dazu sollte man vielleicht wissen, daß besagte Oper 1862 in der russischen Stadt uraufgeführt wurde und erst 1869 dann in Mailand (hier ist dann u. a. auch aus dem Vorspiel erst eine richtige "Sinfonia" geworden) auf die Bühne gelangte.

Der mit allzuvielen Platitüden seitens "Kulturexperten" belegte Dirigent Valery Gergiev beweist hier wieder einmal, wie sehr er mit zarten Pianissimi und einer intensiven inneren Spannung musizieren kann. Großartig ist auch das russische Sängerensemble - allen voran Galina Gorchakova als Leonora, Gegam Grigorian als Don Alvaro und Olga Borodina als Zigeunerin Preciosilla.

Herbert Hiess

Leontyne Price

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The Complete Collection of Operatic Recital Albums

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div. Orchester & Dirigenten

 

Solisten: Leontyne Price, Marilyn Horne, William Warfield, Placido Domingo u. a.

 

RCA (D 2012)

Links:

Nikolaus Harnoncourt

ØØØØØ

Walzer Revolution

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Concentus Musicus Wien/Nikolaus Harnoncourt

 

Werke von W. A. Mozart, Johann Strauß sen., Joseph Lanner

 

Sony Classical (D 2012)

Links:

Jules Massenet: Werther

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Oper

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Chor und Orchester des Opernhauses Covent Garden London/Antonio Pappano

 

Solisten: Rolando Villazon, Sophie Koch, Eri Nakamura, Audun Iversen u. a.

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2012)

Links:

Giuseppe Verdi: La Forza del Destino

ØØØØØ

Oper (St. Petersburger Fassung)

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Chor und Orchester des Marinsky Theaters St. Petersburg/Valery Gergiev

 

Solisten: Galina Gorchakova, Gegam Grigorian, Olga Borodina u. a.

 

Decca/Universal (D 2012)

Links:

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