Musik_CD-Tips der Woche

Denkerposen

Alternde Punk-Prominenz trifft auf narzißtischen Westentaschenrocker trifft auf Überbleibsel der Neuen Deutschen Welle. Was dabei herauskommt? Jede Menge Cover-Versionen, Von-Teese-loser Herzschmerz und ein "Letzter Tango in Bad Ems". Aber hören Sie selbst!    01.06.2007

Manfred Prescher

Patti Smith - Twelve

ØØØØ

Sony BMG (USA 2007)


Voll auf die Zwölf: Patti Smith covert ein Dutzend Hits aus ihrem erweiterten Umfeld - und das reicht mindestens bis zu den 80er-Jahre-Poppern, von Tears For Fears bis zu Stevie Wonder. Ob sie die Nach-Sängerin gibt, weil sie mit Springsteens "Because The Night" vor knapp 30 Jahren ihren einzigen größeren Hit hatte und in den 70er Jahren zum Beispiel auch Van The Mans "Gloria" mit Verve interpretierte, ist ungewiß. Ihre eigene Begründung zur jeweiligen Wahl steht auf jeden Fall im Booklet der CD. Sicher ist, daß sie auch nicht aus Ideenmangel zu Fremdmaterial griff, da Patti traditionell immer genauso lange wartet, bis sich genug gutes Eigenmaterial angesammelt hat. Aber es spielt auch keine Rolle, warum sie so etwas tut - sie tut es so wie immer. Die zwölf Songs verströmen den spröden Charme, der alle ihre Aufnahmen auszeichnet; sie hangeln sich an der Schnittstelle von Punk, Folk und Storytelling entlang und klingen dabei genauso original nach Smith wie "Pissing In A River" oder "Gone Again". Besonders stimmig sind die Adaptionen von Paul Simons "The Boy In The Bubble" und Bob Dylans unterbewertetem "Changing Of The Guards".

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Marilyn Manson - Eat Me, Drink Me

ØØØØ

Motor/Universal (USA 2007)


Wenn einer wie Marilyn Manson einen Rosenkrieg führt, dann stammt das Rot der Blütenblätter garantiert vom Gemetzel. "Eat Me, Drink Me" ist das Werk, das im Moment nach dem Verlassen der Kampfzone entstanden ist: Dita von Teese, das bekannte Aushängeschild der Neo-Pin-up-Szene, ist weg - und die neue Flamme, die ihn lichterloh entzündet, spielt mit ihm "Lolita" und "Im Reich der Sinne" zugleich. Sowohl Dita als auch die 19jährige Evan Rachel Wood, letztere besonders in "Heart-shaped Glasses" und im finalem Orgasmus des Titelstücks, prägen dieses im Werkkontext einmalige Manson-Album: "Eat Me, Drink Me" ist für Mansons Verhältnisse eher moderat - und damit so nah wie noch nie an den Rock-Konventionen von Alice Coopers Frühwerk. Das liegt daran, daß nun schwerer Rock mit Melodien und Gesang über Gekreische und Kakophonie triumphiert. Was so "gewöhnlich" klingt, wird viele Fans enttäuschen, eröffnet aber ganz neue Herangehensweisen an die kranken Gedanken von Herrn Manson. "Putting Holes In Happiness" und "Evidence" sind dabei seine persönlichen Momente von "Besinnlichkeit", der absolute Hit ist jedoch "They Say That Hell´s Not Hot". Also dürfte dort die Schminke halten ... So get behind him, Satan!

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Die Zimmermänner - Fortpflanzungssupermarkt

ØØØ

What´s So Funny About/Indigo (D 2007)


Anfang der 80er Jahre waren die Zimmermänner die Bänkelsänger-Barden für die Streber unter den Gymnasiasten. Und das ist nicht negativ gemeint. Sie würden "Texte für Pullunder-Träger" schreiben, hieß es damals. Was natürlich die Crux sein könnte: Davon gab es zur schrillen NDW-Zeit einfach zu wenig, weshalb die LPs "1001 Wege Sex zu machen, ohne daran Spaß zu haben" oder "Goethe" bis heute Insider-Tips geblieben ist, trotz potentieller Hits wie "Wo bleibt da die Lebensqualität?", "Ich werde in der Sonne immer dicker" oder "Nöte des kleinen Mannes".

Nach sporadischem Auftauchen aus der Versenkung sind die Zimmermänner nun mit einem vollständigen Album wieder da: Reduziert auf den literarischen Kern - also auf Detlef "Volkskunst aus dem Knabengebirge" Diederichsen und Timo Blunck -, tun sie auf "Fortpflanzungssupermarkt" so, als sei die Zeit 1982/83 stehen geblieben. "Ich bin ein Wurm", "Letzter Tango in Bad Ems" oder "Warum ich meine Freundin so oft mit meiner Frau betrüge" sind - im Gegensatz zu einigen anderen, eher altbacken wirkenden Stücken - zeitlos gut. Aber wir müssen gnädig sein: Allein für den Spät-Disco-Track "Nirwana" ist tiefe Dankbarkeit angebracht. Denn die Zeile "Du willst einen iPod für Deinen Nintendo" ist schlicht und ergreifend schön.

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