Musik_CD-Tips KW 45/07

Nachrichten vom Nebenfluß

Altmodischer Soul, gerechter Mod-Zorn und Elektro-Improvisation - diese Künstler wandeln eindeutig nicht auf Mainstream-Pfaden.    09.11.2007

Manfred Prescher

Sharon Jones & The Dap-Kings - 100 Days, 100 Nights

ØØØØØ

Daptone/GrooveAttack (USA 2007)

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Auf "Spiegel Online" gab Sharon Jones zu Protokoll, warum sie nie so berühmt werden wird wie Amy Winehouse: Sie sei: "Zu klein. Zu fett. Zu schwarz. Zu alt." Ihre Einschätzung stimmt sicher, da die 51jährige Sängerin aus James Browns Heimatstadt Augusta/Georgia nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen ist, wie man so sagt. In ihrer langen Karriere hat sie mehr Tiefen als Höhen erlebt - aber vielleicht kann sie im Windschatten des Amy-Ruhms ein Auskommen finden? Das wäre gut möglich, weil Sharon Jones singt, als wäre sie die scharfe Mutter der Winehouse-Göre. Ihre kräftige Stimme klingt nach mehr gelebtem Leben, als daß man das Defizit mit ein paar Drogenexzessen aufholen könnte.

Natürlich verzichtet Sharon Jones auf HipHop-Beats; dafür bringt es die begleitende Big Band fertig, daß der Sound von Muscle Shoals oder Stax/Volt sehr zeitgemäß tönt. Die Texte handeln von persönlichen Niederlagen, von verzweifelter Lust und Leidenschaft, sind in Amys Sinne "Back To Black" - eine Tradition, die von leider Vergessenen wie Lyn Collins, Marva Whitney oder Yvonne Fair bis zu Sharon Jones und eben Amy Winehouse reicht. Anspieltips aus einem großartigen Stück Groove sind der charmante Titeltrack, das anklagende "Answer Me" und die sehr eingängige Louis-Jordan-Hommage "Let Them Knock". Bleibt zu erwähnen, daß Sharon doch auch ganz schnuckelig ausschaut.

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Holy Fuck - LP

ØØ

XL Recordings/Beggars Group (Kanada 2007)

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Manche Bands haben den Ruf, live viel besser zu sein. Was natürlich umgekehrt bedeutet, daß sie es auf Konserve nicht so richtig bringen. Das galt früher für Extremisten wie Tortoise oder Universal Congress Of, trifft aber auch für die wesensverwandten kanadischen Electro-Daddler von Holy Fuck zu. Auf ihrem zweiten, nur "LP" betitelten Album liegen sie zwar besser in der Spur als beim Debüt, aber Sound-Qualität und mangelnde Inspiration sprechen immer noch dagegen, sich eine CD (oder eben LP) vom Achter um Steuermann Brian Borcherdt zu kaufen. Dabei hat ihr Instrumentarium, das billige Kaufhaus-Synthesizer-Klänge mit kraftvollen Analogrhythmen zu verbinden weiß, durchaus seinen Reiz, was "Lovely Allen" mit seiner wall of artificial violins belegt. Dieses Stück ragt allerdings deutlich aus der Masse des Gleichförmigen heraus, gemeinsam mit dem Opener "Super Inuit". Aber der stammt ja auch von einem Konzertmitschnitt.

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Ray Davies - Working Man’s Café

ØØØ 1/2

V2 Records/Universal (GB 2007)

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Der geistig-musikalische Urahn von Paul Weller könnte es sich eigentlich leicht machen und auf den Lorbeeren von "Dandy", "You Really Got Me" oder "Lola" ausruhen. Doch der Modfather des Britpop ging noch nie den bequemen Weg. Ray Davies ist schließlich nicht Mick Jagger und hat immer noch was zu sagen. Und das auch dann, wenn keiner zuhört - Davies bezieht Stellung, weil er es sich selbst schuldig ist. Daß dieser lapidare Satz stimmt, belegen die Post-Kinks-Krisen des Großmeisters.

"Working Man´s Café", das in England via Sonntagspresse an die Menschen gebracht wurde, ist altmodisch und vertritt Werte, die nah an Klassenkampf-Idealen sind. Was macht der intellektuelle Dandy eigentlich unter den Proleten? Er sitzt im Kaffeehaus, schaut sich das Treiben an und verzweifelt schier daran. Im Gegensatz zur Vorgänger-CD "Other People´s Lives", mit der Davies eine der besten Platten des Jahrgangs 2006 aufnahm, klingt das neue Werk merkwürdig unbritisch. Es sind eher gut abgehangene amerikanische Einflüsse, die "Working Man´s Café" prägen. So ist die Single "Vietnam Cowboys" etwa Seventies-US-Breitwandrock. Mit "Morphine Song", dem philosophischen "You´re Asking Me" oder dem wahren "No One Listen" hat er wieder echte Meisterwerke im Programm, aber das ist ja von Davies auch zu erwarten. Die "Hymn For A New Age" hätte es sicher nicht gebraucht; an neue und vor allem bessere Zeiten glaubt Davies doch schon seit "Dead End Street" nicht mehr ...

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