Musik_CD-Tips KW 36/07

Die perfekte Welle

Frisch, fromm, fröhlich, frei. Okay, das "fromm" lassen wir weg. Ansonsten aber zeigen diese drei Tonträger, daß sich mit ihnen bestens durch den Alltag surfen läßt.    07.09.2007

Manfred Prescher & Jürgen Fichtinger

The Coral - Roots & Echoes

ØØØØ

Red Ink/SonyBMG/Rough Trade (GB 2007)


Es muß sich beileibe nicht immer um Britpop handeln, wenn von guter Musik aus dem Vereinigten Königreich die Rede ist - obwohl der Coralsche Freundeskreis aus Hoylake auf seine Art natürlich auch britischen Pop macht. Der verweist aber weniger auf Paul Weller oder die Kinks als auf Fairport Convention, Pubrock, frühe Tyrannosaurus Rex und andere eher abseitige Traditionen. Das Ergebnis dieser Fusion klingt erstaunlich zeitgemäß, was auch die Fans der TV-Serie "Scrubs" mitbekommen haben. Für eine neue "British Invasion" reicht der Erfolg in Übersee natürlich nicht, aber The Coral tragen zumindest ein wenig zur amerikanischen Geschmacksbildung bei.

"Roots & Echoes", das vierte Album der Band um Sänger James Skelly, ist trotz des düsteren Covers ein freundliches Werk für mistige Zeiten. Es groovt, swingt und zirpt, dieses Ding. "Not So Lonely" ist zum Beispiel ein echter Bossa - an dem auch João Gilberto seine Freude hätte. Hier wird der Latin-Song natürlich mit der akustischen Gitarre gespielt. Und sonst? Psychedelisches trifft auf opulenten Pop im Stile von Phil Spector, Seemannslieder auf Hippie-Mucke, Doors-Orgel inklusive. Erstaunlich ist, daß die Vielfalt des Eklektizismus, den Coral praktizieren, tatsächlich funktioniert. Das liegt daran, daß sie dank Songs wie "Rebecca You" oder "In The Rain" viel poppiger und damit zugänglicher geworden sind.

Links:

Los Plantronics - Rancho Notorious

ØØØ 1/2

Mariachi Productions (Norwegen 2007)


Man braucht - bei Neptun! - keinen Waschbrettbauch oder Wellenerfahrung, um sich an der niemals abflauenden Windstärke des Surfer-Rocks zu erfreuen oder auf den Tremolo-Klangwellen der gitarrengetriebenen Songs zu reiten, die in Sachen Eingängigkeit und Power gängiger Radioware selbst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch haushoch überlegen sind - ob es sich bei den Interpreten nun um Dick Dale, The Vice Barons oder gar die Surf Coasters handelt.

Wenn sich jedoch Neo-Surf-Rock auch noch mit Italo-Western-Reminiszenzen zu ultracoolen Vibes vereint, dreht man am besten die Lautsprecher auf Höchstleistung und verfällt gepflegt dem Tinnitus. Ein Beispiel für dieses Subgenre liefern die berüchtigten Norweger Los Plantronics, die nach "Mariachi Death Surf" und "La Orchestra Diabolica" vor kurzem mit "Rancho Notorious" ihren neuesten Langspieler vorlegten. Obwohl der Titel an den gleichnamigen Fritz-Lang-Western mit Marlene Dietrich angelehnt ist, liefert die Garagen-Trash-Kombo alles andere als Western-von-gestern-Klänge. Da dreht man unter anderem "Sheena Is A Punk Rocker" von den Ramones durch den Fleischwolf, brettert eine fetzige Ode an Filmbösewichte wie Bobby Peru oder Buzz Meeks und liefert mit dem Ennio-Morricone-Cover "The Good, The Bad And The Ugly" einen absoluten Schlager für EVOLVER-Leser ab. Wer´s nicht glaubt, möge sich mittels Hörprobe auf der offiziellen Website oder via MySpace-Präsenz selbst überzeugen.

Dummerweise ist die Scheibe hierzulande bisher nur in virtueller Form erhältlich. LP/CD-Liebhaber nerven also am besten den Plattenhändler ihres Vertrauens solange, bis er sie ihnen importiert, oder probieren es mit einem norwegischen Online-Shop.

Links:

The Bravery - The Sun And The Moon

ØØ 1/2

Universal (USA 2007)


Was bleibt, wenn amerikanische Punk-Hippies auf Synthesizer und Orgel verzichten? Ein fader Beigeschmack. Die Urenkel der früh vergreisten Strokes wollen mit ihrem zweiten Album zurück zu den Wurzeln. Und die liegen schon soweit zurück, da dürfte das Quintett noch in Abrahams Wurstkessel geschlummert haben.

"The Sun And The Moon" ist aber trotz dieser bemerkbaren Bemühtheit recht hörbar geworden, trotz der Licht-und-Schatten-Spiele, die der Titel ankündigt. Wahrscheinlich will Sam Endicott uns damit gleich von Anfang signalisieren, daß er mittlerweile weiß, wie schwer die Geburt eines Zweitlings ist. Die dunkle Seite der Platte beinhaltet Songs wie "The Ocean", der in seiner Langeweile belegt, daß in der Ruhe nicht zwangsläufig die Kraft, sondern manchmal eben doch Müdigkeit liegt. Bevor dem Hörer die Augen zufallen, ist die Platte allerdings schon vorbei. "Believe" und "Split Me Wide Open" sind okay, "Bad Sun" und "Fistful Of Sand" sogar richtig stark. "This Is Not The End" heißt ein Stück, das Hoffnung macht - darauf nämlich, daß das dritte Album mutiger, kraftvoller und wieder impulsiver wird. "The Sun And The Moon" läßt sich prima weghören; leider im doppelten Sinn des Wortes.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.