Musik_CD-Tips KW 32/07

Wie tot sind die Sixties?

Altmodisch oder altbacken? Es ist ein schmaler Grat zwischen seniler Rührseligkeit und dem Blick zurück nach vorn. Die heute vorgestellten drei Platten belegen dies deutlich.    10.08.2007

Manfred Prescher

The Dead 60s - Time To Take Sides

Ø 1/2

SonyBMG (GB/USA 2007)


Die sechziger Jahre sind sowas von tot! Das merkt man spätestens, wenn man sich im EVOLVER umtut und lesen muß, wie ausgerechnet aus der Feder eines altgedienten Recken die Behauptung "Bob Dylan ist ein Hippie" floß. Man muß den Mann mit der Nörgelstimme durchaus nicht mögen, aber als die Sechziger noch lebten, wußten aufgeklärte Zeitgenossen, daß Dylan alles dran setzte, um sich von love and peace abzusetzen. Und wenn schon wir Alten sowas vergessen ...

Andererseits lebt das tote Jahrzehnt munter in den Köpfen der Jungspunde weiter - besonders im Vereinigten Königreich. Und natürlich ist es eher die Attitüde als eine echte Beschäftigung mit Tradition, mit der viele Bands durchaus witzig einen Sommer lang durch die Gehörgänge spuken. So sorgte auch die Liverpooler Kombo, die sich ausgerechnet The Dead 60s nennt, mit ihrem charmanten Debüt 2005 zwar nicht für Überschwang, aber doch für okaye Unterhaltung. Der Bandname war gut gewählt, da das Quartett an der Nahtstelle von Sechzigern und Siebzigern musizierte und damit eher "Life On Mars"- als "Nummer 6"-Klischees bediente. Netter Small-Faces-Beat traf auf Dub, Glam und Clash.

Aber nun ist alles vorbei: Für den Nachfolger "Time To Take Sides" ging die Band nach New York, begab sich unter die prominenten Produzenten-Fittiche von David Kahne und erarbeitete mit ihm ein Album voller Belanglosigkeiten: formatradiotauglich, aber selbst dort nicht auffällig genug. Die Dead 60s sind vielleicht noch nicht tot, aber sie liegen schon im Koma.

Links:

Nick Drake - Family Tree

ØØØØ

Island/UMIS (GB 2007)


Im Gegensatz zu den sechziger Jahren ist Nick Drake wirklich tot. Er starb im November 1974 im Alter von nur 26 Jahren an einer Medikamentenüberdosis. Sein schmales Werk allerdings ist so zeitlos schön, daß es die Entstehungsjahre zwischen Hippietum und Glam nicht nur schadlos überstand - es wirkt mindestens doppelt so heutig wie Belle & Sebastian oder Adam Green.

Drei kurze Alben - "Five Years Left", "Bryter Layter" und das finale Meisterwerk "Pink Moon" - entstanden zwischen 1969 und 1972. Mehr nicht. "Pink Moon" heißt übrigens auch "Mondfinsternis" und wird in England als Ausdruck für ein heraufziehendes Unheil verwendet, was zu Drakes Songs paßt. Die stecken nämlich voller dunkler Vorahnungen, verquerer Botschaften und versponnener Ideen - verpackt in ruhige Instrumentierung. Wie es mit ihm weitergehen hätte können, dokumentiert die CD "Time Of No Reply", die letzte Aufnahmen aus dem Jahr 1974 vereint.

Vom anderen Ende der musikalischen Biographie kommt nun "Family Tree": 27 Songs und Skizzen, entstanden im elterlichen Wohnzimmer, zeigen das Talent des nicht einmal 20jährigen Künstlers. Jazz trifft Folk, und Blues trifft Drake. Und der war teilweise schon damals richtig gut, was unter anderem die frühe, akustische Version von "Way To Blue", die zauberhafte Umsetzung von Dylans "Tomorrow Is A Long Time" oder die von Bert Janschs "Strolling Down The Highway" zeigt. Der Fan erhält acht unveröffentlichte Tracks und eine Reihe interessanter Spielereien eines Genies.

Links:

Funny van Dannen - Trotzdem danke

ØØ 1/2

JKP/Warner (D 2007)


Funny van Dannen ist irgendwie altmodisch: Als einer der letzten Liedermacher (im positiven Sinn des Wortes) erzählt er Geschichten, am liebsten zur Klampfe. Die Stories wurzeln deutlich in einer Tradition, die an den frühen - und guten - Reinhard Mey erinnert. Van Dannen singt von einem Alltag, den jeder wiedererkennt, obwohl der Blickwinkel meist alles andere als gewöhnlich ist. Das macht er seit 1995 auf mittlerweile zehn Alben. Er ist allerdings auch Maler und Schriftsteller, aber wir konzentrieren uns hier auf die unspektakuläre Musik.

Das neue Album ähnelt den anderen neun, aber einen Unterschied gibt es doch: Es erscheint bei JKP, dem Label der befreundeten Förderer von den Toten Hosen, und wird daher über den Major Warner vertrieben. Möge der sympathische Indie-Barde von einst nun endlich reich werden! Seine Fans beschenkt er auf jeden Fall schon mal mit satten 24 Songs. Das sind allerdings des Guten ein paar zuviel. Oder anders ausgedrückt: Die Perlen verstecken sich unter zuviel Mittelmaß, was beim kompletten Durchhören leider rasch nervt. Weil Funny immer über das Ziel hinausschießt, mache ich das immer so mit seinen Alben: Ich ziehe mir die guten Songs auf eine Extra-CD – und erfreue mich so dieses Mal an "Wie ein Hund", "Gasprom" oder "Sandra Bullock". Den Rest vergesse ich einfach. Trotzdem danke, Herr van Dannen!

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