Tocotronic - Kapitulation
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Universal Music (D 2007)
Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail haben mich ziemlich erschreckt: Als ich hörte, daß die achte Tocotronic-Langspielplatte "Kapitulation" heißen würde, dachte ich doch tatsächlich, daß sie vor der nie versiegenden Blödheit der digitalisierten Massen klein beigeben und in einem depressiven Schwanengesang verschwinden würden.
Doch das Gegenteil ist der Fall: "Kapitulation" ist harmonischer, freundlicher und auf den ersten Ton zugänglicher als die glorreichen sieben Vorgänger. Gleichzeitig sind die Texte aber noch verschwurbelter und verklausulierter. Vielleicht gibt es dieses Aufgeben, von dem der Titel spricht, ja doch - und es mündet in einer "wall of words"; Worte, die nur darauf warten, gedeutet und damit präzisiert zu werden. War der intellektuelle Großbürger-Punk von Tocotronic bislang doch immer auch an der Oberfläche schon irgendwie politisch, muß dieses Mal der übergeordnete Sinn von den Standpunkten des Privaten aus deduziert werden.
"Mein Ruin" oder "Verschwör dich gegen dich" sind genau diese Lieder, die von Lowtzow "Aus meiner Festung" heraus schreibt. Wenn er seine stabile, persönliche Trutzburg nicht hätte, würde er vermutlich wirklich aufgeben. Stattdessen erklärt er, daß Individuen über spezifische, aber auf gemeinsame Ursprünge und Ursachen zurückführbare Einzelproblematiken definierbar sind. Aus dem "Ich" könnte daher leicht ein "Wir" werden, und "wir" ist ein dehnbarer Begriff, der "viele" umfaßt. "Wir sind viele" singen Tocotronic also.
Aber auch dem mit frischer Sehnsucht nach Harmonie und Einheit von eigenem Körper und Geist mit einer positiven Gesellschaft strebenden Lowtzow ist klar, daß ein Menschenauflauf noch nicht zwangsläufig einen Umsturz herbeiführt. Außerdem sagen uns die Hamburger wieder einmal nicht, wie sie sich die bessere Welt vorstellen. Aber das liegt daran, daß dies selbst die desillusionierte Vorstellungskraft eines Dirk v. L. übersteigt. Auf jeden Fall aber ist "Kapitulation" das musikalische Meisterstück des Trios. Wer nicht deuten will, soll also hören.
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