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Schmauchspuren #5

Geschmuggelter Whiskey, gestohlene Juwelen, geheimnisvolle Briefe und gerissene Serienkiller - Peter Hiess genießt an Krimis all das, was angeblich so gefährlich ist.    29.01.2014

Peter Hiess

Craig Holden - Die Unangreifbaren

Piper Original 2006

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Manchmal passiert das Wunder. Da strengt sich ein Kriminalroman gar nicht erst groß an, literarisch zu sein, ist aber so gut recherchiert, eindringlich und psychologisch dicht geschrieben, daß er trotzdem zu großer Literatur wird. Diesmal heißt der Wunderwirker Craig Holden und ist einer der wenigen US-Krimiautoren, die für Qualität bürgen. Sein Roman "Die Unangreifbaren" erzählt eine wahre Geschichte mit einigen dichterischen Freiheiten nach – nämlich Aufstieg und Fall von George Remus, der zu Zeiten der Prohibition als Whiskeyhändler schwerreich wird und am 6. Oktober 1927 seine Frau erschießt. Holdens Buch ist nicht nur ein spannender Gerichts-Thriller, sondern zugleich auch ein guter historischer Roman - und in den vielen Rückblenden, die Täter wie Staatsanwalt in die Vergangenheit des unglücklichen Paares führen, ein glaubhaft erzähltes Dokument einer obsessiven Beziehung. Unbedingt lesenswert.

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div. Hard Case Crime


Wade Miller - Branded Woman /  Peter Pavia - Dutch Uncle

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2005

 

Bleiben wir gleich in Amerika und bei jener Art Krimi, die nur bei Pulp-Freunden den hohen Status der Literatur erreicht. Die zwei nächsten Bände in unserer Aufarbeitung der "Hard Case Crime"-Serie wurden mit mehr als 50 Jahren Abstand verfaßt, kommen aber beide im beinahe gleichen Tonfall daher. Wade Millers "Branded Woman" (1952) berichtet von einer attraktiven Abenteurerin und Juwelenschmugglerin, die sich in Südamerika an dem Supergauner rächen will, der sie einst gebrandmarkt hat - und natürlich in eine verhängnisvolle Affäre verstrickt wird; während Peter Pavias "Dutch Uncle" (2005) ein paar Wochen im Leben kleiner Gangster und frustrierter Bullen im Miami der Gegenwart beschreibt. Nicht umsonst ist der Titel des Taschenbuchs mit weißem Pulver geschrieben - die dekadente Stadt in Florida lockt nur Kokser, Schwule und stupide Nachwuchs-Models an. Und bald ereignet sich ein Mord, der den Protagonisten wie dem Leser vor allem eines bewußt macht: Das Schlimmste im Leben, ob in der Politik oder im Verbrechen, sind Amateure und Hobbyisten. Gott sei Dank ist wenigstens der Autor ein Profi ...

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Sujata Massey - Japanische Perlen / Pierre Magnan - Der Mörder mit der schönen Handschrift

Piper Original / Fischer Tb. 2006


So gern man als Krimi-Rezensent auch im Hardboiled-Mutterland USA bleiben möchte - die internationale Szene läßt einem keine Ruhe. Hier also die Pflichtübung: Die Erfolgsautorin Sujata Massey (englische Tochter einer Deutschen und eines Inders; lebte drei Jahre in Japan) läßt leider auch den siebenten Band ihrer Serie um die Amateurdetektivin Rei Shimura nicht im Land der aufgehenden Sonne spielen - obwohl gerade das so reizvoll daran war -, sondern wieder in den Staaten, den Vereinigten. Dort, in Washington, der D. C., wird ihre Cousine entführt, und Rei stürzt sich ins Ermittlungsabenteuer, das dem Leser eine Menge über die japanische Küche, Restaurantszene und Kultur offenbart, aber sonst schon gar nichts. Zu geschmäcklerisch.

Ähnliches gilt für Pierre Magnans "Kriminalroman aus der Provence", der unter dem schöngeistigen Titel "Der Mörder mit der schönen Handschrift" daherkommt und von zu spät zugestellten anonymen Briefen, einer seltsamen Familiendynastie und beschaulich aufgeklärten Meuchelmorden handelt. Man kann es auch übertreiben, meint der Fachmann. Aber andererseits gibt´s ja Leute, die gern in die Provence reisen und auch gern über diese Gegend lesen. Und die werden sich mit diesem als Spannungsroman getarnten Reiseführer, der erzählt wird wie eine europäische TV-Miniserie, garantiert auch zu Hause in ihren ererbten Schrebergärten wohlfühlen.

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Marcos M. Villatoro - Minos / Jeff Lindsay - Dunkler Dämon

Knaur Tb. 2006


Zurück nach Amerika: Dort durften sich wieder einmal zwei Autoren am mittlerweile ziemlich abgeschmackten Genre des Serial-Thrillers versuchen, dem seit Jahren keiner mehr etwas wirklich Originelles hinzufügen konnte. Marcos M. Villatoro, der bezeichnenderweise Creative Writing in L. A. unterrichtet (alles falsch!), betreibt in "Minos" Malen nach Zahlen. Farbe 1: Latina-Polizistin, alleinerziehende Mutter, traumatisiert; Farbe 2: aufregend-romantischer Drogenhändler aus Südamerika, dem die Heldin einst das Leben gerettet hat und der ihr ihr hilft; auch traumatisiert; Farbe 3: hochkreativer Serienkiller, der seine Morde unrealistischerweise nach Dantes "Inferno" begeht; total traumatisiert. Farben mischen, mit Hollywood-Plot-Klischees glasieren - und das Ergebnis sieht aus wie der billige Kunstdruck im Motelzimmer.

Jeff Lindsay ist mit dem zweiten Band um seinen Kriminaltechniker/serienkillermordenden Serienkiller Dexter Morgan, der auch in "Dunkler Dämon" die Rolle des Erzählers innehat, wenigstens ein bißchen origineller – aber nicht viel. Weil, was soll schon sein: Der andere Serienmörder ist noch böser und gemeiner, muß aber am Schluß trotzdem fallen. Keine Überraschung, aber durchaus strandtauglich.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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