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Schmauchspuren #31

Krimiexperte Peter Hiess ist besorgt: Muß sein amerikanischer Lieblingsverlag zusperren? Sterben Serienkiller und Kinderschänder etwa nie aus? Und kann man Lemmy Caution bitte etwas anständiger würdigen?    30.07.2014

Peter Hiess

Peter Rabe - Stop This Man!

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

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Vielleicht ist die berühmte Krise daran schuld - oder ein anderes dieser Pseudo-"Probleme", die die Mächtigen dieser Erde dauernd erfinden, damit wir uns alles (Sprechverbote, Antiterrorgesetze und Sparlampen) von ihnen gefallen lassen. Jedenfalls hat irgendwas den amerikanischen Pulp/Noir-Verlag Hard Case Crime dazu gebracht, von durchschnittlich einem wunderbaren Taschenbuch im Monat auf etwa vier im Jahr umzusteigen. Und da macht man sich als Fan und begeisterter Leser dieser alten und neuen Klassiker schon Sorgen ...

Es ist halt heute noch so, wie Peter Rabe es schon 1955 in seinem gelungenen Krimi Stop This Man! beschrieben hat: Verbrechen und Korruption regieren. Da hat ein einfacher Berufsgangster wie der Protagonist Tony Catell, der nach seiner zweiten längeren Haftstrafe wieder einen großen Coup landen will, keine Chance. Wer konnte denn ahnen, daß der schwere Goldbarren, den er aus einem Forschungsinstitut stiehlt, radioaktiv verstrahlt ist? Von Atomforschern über FBI-Agenten bis hin zu den Mafiabossen sind in diesem Roman alle schäbig, falsch und schmierig. Kein Wunder, daß es für abgebrühte Profis in einer solchen Welt enden muß, wie es in Stop This Man! endet. Aber traurig ist es doch.

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Andreas Gruber - Rachesommer

Premiere/Club Bertelsmann 2010

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Da wirkt es umso herzerfrischender, wenn ein geschätzter österreichischer Autor wie Andreas Gruber, der mit anspruchsvollem Horror und blutigen Thrillern bekannt wurde, im Hardcover erscheint - wenn auch bei einer Buchgemeinschaft und mit einem Krimi, der das unsägliche Thema Kindesmißbrauch aufgreift, das die Serienmörderei in der jüngeren Vergangenheit als Genre-Nervensäge abgelöst zu haben scheint. Dennoch ist der Fall in Grubers Rachesommer gut und glaubhaft konstruiert; solchen Typen traut man organisierte Pädophilie viel eher zu als kleinen Postbeamten in Hintertupfing. Und der Autor führt die zwei spannenden Handlungsstränge um den Polizisten aus Leipzig (untersucht unautorisiert angebliche Selbstmorde von Jugendlichen in psychiatrischen Kliniken) und die Anwältin in Wien (untersucht unautorisiert angebliche Unfalltode gestandener Herren) gekonnt zusammen. Sollte man unbedingt lesen - dazu muß es gar nicht Sommer sein.

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Douglas Preston/Mario Spezi - Die Bestie von Florenz

Knaur Tb. 2010

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Wer seine Sommer gern in der Toskana verbringt (ich weiß schon, da gehen normalerweise nur Sozialdemokraten und Altgrüne zum Sterben hin, aber die Gegend ist ja trotzdem schön), sollte sich als Ferienlektüre Die Bestie von Florenz vom amerikanischen Bestseller-Autor Douglas Preston und dem italienischen Kriminalreporter Mario Spezi mitnehmen. Da geht´s zwar auch wieder um einen Serienkiller, aber wenigstens einen realen, der seine unheimlichen Liebespaarmorde und -verstümmlungen in den 70er und 80er Jahren verübte. Preston stieß zufällig auf den Fall (der schon Hannibal-Lecter-Erfinder Thomas Harris inspiriert hatte), als er aus den USA nach Italien übersiedelt war, und machte sich im Jahr 2000 mit Spezi auf die Suche nach dem Täter, der nie gefaßt wurde. Aufregend und verblüffend an dem durchwegs gut erzählten Buch ist nicht nur die Ermittlungsarbeit, sondern auch das Wespennest an Korruption und Eigennutz, in das die beiden bei den toskanischen Behörden stechen – so tief, daß sie bald selbst wie Mordverdächtige behandelt werden. Ein interessantes Stück europäische Kriminalgeschichte.

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Robert B. Parker - Alte Wunden

Pendragon Tb. 2010

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Apropos Geschichte: Nachdem letztes Mal an dieser Stelle der "Original-"Robert B. Parker behandelt wurde, diesmal wieder ein Taschenbüchlein des Spenser-Autors, den wir alle kennen (und der seit 18. Jänner dieses Jahres selbst Geschichte ist). Im Gegensatz zum langweiligen Der stille Schüler (2005) ist der 2003 entstandene Roman Alte Wunden ein gutgelaunter Hardboiled-Krimi um alte Hippies und bekehrte Revoluzzer, einen unaufgeklärten, 40 Jahre alten Mord, FBI-Agenten und -Informanten, Schießereien und natürlich Hawk und Susan. Coole Sprüche, gutes amerikanisches Essen, Schnäpse, Zynismen, ein paar Wortspiele, die in der Übersetzung leider hoffnungslos absaufen (müssen) - also genau der Spenser, den wir alle gern in Erinnerung behalten wollen.

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Peter Cheyney - Lemmy schießt nicht auf Blondinen

Milena Pb. 2010

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Zum Schluß ein zweischneidiges Vergnügen: Natürlich freut man sich, wenn ein trashiger Krimi um den großen Lemmy Caution (im Film verkörpert vom noch größeren Eddie Constantine) neu herauskommt - also freut man sich auch über Lemmy schießt nicht auf Blondinen. Aber es muß doch nicht in dieser postmodernen, klebrig-ironischen Aufmachung sein, mit Backcover-Sprüchen wie aus dem Unterschichtenfernsehen und einer Bio, in dem man Autor Peter Cheyney ein "ausschweiffendes" [sic!] Leben zugesteht und seine Werke als "krude Kriminalgeschichten" bezeichnet. Dann könnte man sich die "Revisited"-Neuauflage ja gleich sparen ... Andererseits: Dem Lemmy-Krimi kann auch diese krude Behandlung nichts anhaben. Also freuen wir uns lieber.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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