Print_Lina Hofstädter - Hungrige Tage

Protokollierte Soletti

Wenn eine an Freßsucht leidet, sind immer die anderen schuld, vorzugsweise die Eltern. Das weiß man seit Freud. Daß nur ein Ali der Retter sein kann, das weiß man erst heut´.    20.01.2003

"Du überlegst, ob sich die Kekse lohnen, wenn du sie Gramm für Gramm aufschreiben mußt." Notizen in einem Eßprotokoll - "3 Wurstsemmerln, 1 Packerl Manner, Automatenkakao, 1 Kaffee" und gleichzeitig "Ärger über Swatzeks Verbot im Büro zu essen". Immer wieder der Vorsatz abzunehmen. Immer wieder ist das Scheitern vorprogrammiert. Aber die junge Frau Marion/Molly stellt sich den Auslösern ihrer Freßsucht - in der Vergangenheit und in der Gegenwart - in Form von Tagebuchaufzeichnungen. Die frühen Siebziger führen sie zu einer Mutter, die ihr eigenes Opferdasein vorwurfsvoll an den Kopf der Tochter knallt. Sie führen zu einem Vater, dem man das Essen vor die Tür auf den Boden stellt. Und sie führen zu Richard und Martin, deren Verantwortungslosigkeit genauso groß ist wie ihr aufgeblähtes Selbst. Die einfache und klare Sprache zeigt eine Frau, die gerade wegen ihrer Selbstzweifel und Schwächen menschlich begreifbar macht - und deren Verlangen beim Lesen das Gefühl aufkommen läßt: Das kenne ich auch. Umso mehr schmerzt es, wenn sich sprachliche Ausrutscher einschleichen. Sätze wie "Geschützt hinter dem Vorhang aus Worten, die mir nicht wie die eigenen vorkamen ..." klingen zu pathetisch. Und Erinnerungen an Gaskammern wollen auch nicht so recht in die Lebensgeschichte passen, die bis zur Wende 1989 - politisch und privat - führt.

Das Happy End wartet auf Marion in Form von Ali aus der Stammpizzeria. Unweigerlich stellt sich die Frage: Die Lösung allen Übels liegt für eine Frau also einmal mehr in der Errettung durch den Märchenprinzen? Vielleicht liegt aber genau darin Marions/Mollys Begreifbarkeit ...

 

Petra Öllinger

Lina Hofstädter - Hungrige Tage

ØØØ


Milena (Wien, 2002)

 

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