Print_Print-Tips Spezial

Schmauchspuren #10

Fortsetzungen folgen, unweigerlich - ob von Katzenbachs Psychothrillern, den klassischen Pulp-Reihen oder einer österreichischen Krimikarriere. Peter Hiess läßt wieder ermitteln.    05.03.2014

Peter Hiess

John Katzenbach - Das Opfer

Droemer 2007

Leserbewertung: (bewerten)

Wie in der vorigen Ausgabe versprochen, machen wir diesmal gleich mit dem neuen Roman des US-Bestseller-Autors John Katzenbach weiter: In "Das Opfer" geht es um einen Stalker - jenes mysteriöse Wesen, das wir aus Promi-Klatschspalten und dem Chronikteil kennen - auf der Jagd nach einer hübschen Studentin namens Ashley. Doch weder der obsessive Irre noch das Mädchen sind die wahren Protagonisten des Romans, sondern die typische Patchwork-Familie des titelgebenden Opfers, die aus ihrer bürgerlichen Existenz herausgerissen wird und ihrerseits wieder große Opfer bringen muß ...

Sowohl Ashleys Vater, ein Geschichtsprofessor, als auch die Mutter (Anwältin), deren lesbische Lebensgefährtin (Turnlehrerin) und wiederum deren Mutter (rüstige Rentnerin) werden in die Machenschaften des gewalttätig verliebten Stalkers gezogen und beschließen, alles aufs Spiel zu setzen, um ihn zu stoppen. Das erinnert dann aber leider doch ein bißchen zu sehr an den Vorgänger "Der Patient" - und mit der Rahmenhandlung, in der eine bis fast zum Ende namenlose Frau dem Erzähler die Geschichte offenbart, tut Katzenbach sich und dem Leser auch keinen Gefallen. Eher was fürs akademische Publikum, das nicht zuviel Spannung in seinen Patchwork-Haushalt lassen will.

Links:

Richard Powell - Say It With Bullets

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2006

Leserbewertung: (bewerten)

Umso vergnüglicher ist Band 18 der Taschenbuchserie "Hard Case Crime", in der mit Richard Powells Rache-Thriller "Say It With Bullets" ein vergessenes Juwel aus dem Jahre 1953 neu aufgelegt wird. Das liegt vor allem daran, daß Romanheld Bill Wayne (der per Bus durch die USA reist, um sich an ehemaligen Kameraden zu rächen, die ihm in China in den Rücken geschossen haben) keiner typischen Noir-Femme-fatale zum Opfer fällt - sondern seinem eigenen, fast liebenswerten kriminellen Untalent. Als um ihn herum trotzdem alle sterben, ist die entzückende Reiseführerin die einzige, auf die er sich in diesem Roadmovie zu nordamerikanischen Sehenswürdigkeiten verlassen kann. Eine willkommene Abwechslung.

Links:

Peter O´Donnell - Modesty Blaise: Ein Hauch von Tod

Unionsverlag 2007

Leserbewertung: (bewerten)

"Ein Gorilla für die Lady" - unter dem Titel erschien das Abenteuer der Ex-Kriminellen und späteren supersexy Superagentin Modesty Blaise 1970 erstmals auf deutsch. Der Titel der Neuauflage mag zwar näher am Original sein ("Ein Hauch von Tod"/"A Taste For Death"), aber das mit dem Gorilla paßte halt doch viel besser ... Egal, auch der mittlerweile fünfte Modesty-Roman in Thomas Wörtches lobenswerter metro-Serie ist natürlich trotzdem Pflicht für alle, die eine klassische Thriller-Serie (wieder)entdecken wollen.

Links:

John Sandford - Kaltes Fieber

Page & Turner/Goldmann 2006

Leserbewertung: (bewerten)

Zwei, die auch selten enttäuschen, sind der amerikanische Pulitzer-Journalist John Sandford und sein Held Lucas Davenport, der vom Computergame-Entwickler/Playboy-Polizisten würdig zum Leiter einer Sonderermittlungseinheit in seiner Krimiheimat Minneapolis gereift ist. In "Kaltes Fieber" haben es die beiden wieder einmal mit einem Serienkiller (oder vielmehr gleich mehreren) zu tun - und schaffen es nicht nur, den Fall mit der üblichen Härte und Routine aufzuklären, sondern auch, dem längst formelhaftesten aller Mördertypen tatsächlich noch ein paar neue Aspekte, Überraschungen und viel Spannung abzugewinnen.

Links:

David Peace - 1980

Liebeskind 2007

Leserbewertung: (bewerten)

Ähnliches gelingt dem vom Feuilleton hochgelobten Briten David Peace, wenn auch auf ganz andere Weise: "1980" ist der dritte Teil seines "Red Riding"-Quartetts, in dem er auf literarische und geradezu besessen-düster-hyperrealistische Weise ein Bild Englands in den 70er und 80er Jahren zeichnet - ungefähr so wie James Ellroy, aber nicht auf Hollywood-Speed, sondern auf Alter-Welt-Valium. Sein neues Werk, das vom Verlag bezeichnenderweise gar nicht erst als Krimi tituliert wird, erzählt von der Jagd auf den (realen) Yorkshire Ripper, der 1980 bereits 13 Frauen ermordet hatte, und von einem (fiktiven) Assistant Chief Constable aus Manchester, der hinzugezogen wird, um den Killer endlich zu schnappen und nebenbei noch die Korruption des Polizeiapparats von Yorkshire zu beenden. So ein Kampf an zwei Fronten ist bekanntlich nicht leicht - ebenso wie die Lektüre dieses Romans. Aber wer sich auf David Peace einläßt, kann A. wirklich was erleben und B. auch vor seinen intellektuellen Bekannten angeben.

Links:

Jürgen Benvenuti - Big Deal

Haymon 2007

Leserbewertung: (bewerten)

Widmen wir uns zum Schluß dem früheren Betreuer dieser Seite, der sich wieder seinem Hauptgeschäft zugewandt hat: Jürgen Benvenuti, der mit "Big Deal" seinen zehnten (!) Roman vorlegt - eine großartige und zutiefst unterhaltsam geschriebene Story über kolumbianische Koks-Chemiker in Prag, eine junge Wiener Drogenfahnderin und einen Romanautor auf der verzweifelten Suche nach dem richtigen Stoff ... Wie Benvenuti ohne das übliche "skurrile" Lokalkolorit auskommt und auch die üblichen Klischees vom verbitterten alten Bullen/Privatdetektiv in den besten Jahren vermeidet, das muß man einfach gelesen haben. Eine große Sache, fürwahr.

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

Links:

Kommentare_

Print
Klaus Ferentschik - Ebenbild

Doppelgänger-Phantasie

In seinem neuen Roman erzählt Klaus Ferentschik von Spionen, verschwundenen USB-Sticks, Hagelkörnersammlern und Eisleichen. Das Ergebnis ist ein philosophisch-psychologischer Agententhriller, der mehr als doppelbödig daherkommt.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 42

Du darfst ...

Gute Nachricht für alle Desorientierten und von Relikten der Vergangenheit Geplagten: Unser beliebter Motivationstrainer Peter Hiess zeigt Euch einen Ausweg. Und die erste Beratungseinheit ist noch dazu gratis!  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 41

Gleisträume

Will man sich in den Vororten verorten, dann braucht man auch die praktische Verkehrsverbindung. Der EVOLVER-Stadtkolumnist begrüßt den Herbst mit einer Fahrt ins Grüne - und stimmt dabei ein Lob der Vorortelinie an.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 40

Weana Madln 2.0

Treffen der Giganten: Der "Depeschen"-Kolumnist diskutiert mit dem legendären Dr. Trash die Wiener Weiblichkeit von heute. Und zwar bei einem Doppelliter Gin-Tonic ... weil man sowas nüchtern nicht aushält.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 39

Der Tag der Unruhe

Unser Kolumnist läßt sich von Fernando Pessoa inspirieren und stellt bei seinen Großstadtspaziergängen Beobachtungen an, die von ganz weit draußen kommen. Dort wirkt nämlich selbst das Weihnachtsfest noch richtig friedlich.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 38

Schneller! Schneller!

Wie man hört, trainieren US-Soldaten in Manövern für die Zombie-Apokalypse. In Wien scheint sie bereits ausgebrochen. Der EVOLVER-Experte für urbane Beobachtungen weiß auch, warum.