
Stories_Professionell Ruhe bewahren
Die Gesetze des Sofasitzens
Es gab eine Zeit, die EVOLVER-Mitgründer Peter Hiess in äußerster Kontemplation verbrachte - mit tagebuchartigen Texten, die er in seinen Kleincomputer hämmerte; mit der einen oder anderen Flasche Rotwein; in Gesellschaft seines Fernsehers und einer wichtigen Sitzgelegenheit. Er wollte das neue Jahrtausend eben ruhig angehen lassen. Und was er damals schrieb, hat bis heute seine Gültigkeit. 03.09.2010
1. Wie man aus "Eine schrecklich nette Familie", den "Simpsons" und ähnlichen sozialkritischen Werken unschwer erkennen kann, ist das Sofa Zentrum der kulturellen (und auch familiären, wenn man sowas hat) Betätigung. Es sitzt sich zwar auch im Fauteuil gut, aber auf dem Sofa kann man naturgemäß um einiges besser und gemütlicher herumlümmeln. Außerdem - wie jeder, der alleine auf dem Sofa seine Zeit verbringt, bestätigen kann - ist die Sofa-Ablagefläche ungleich größer als jene beim Fauteuilsitzen, wo man Beistelltischchen, Schamerln, Kastln etc. braucht, um die notwendige Versorgung und Bequemlichkeit in Griffweite zu installieren. Da diese Tische und Kästchen jederzeit angeräumt sind (Zeitschriftenstapel, Bücher, Papiere, Fernsehprogramm, Kerzen und andere Dinge von Interesse), kommt man um die Sofasitzfläche einfach nicht herum. So ist es.
2. Der erste Besuch auf dem Sofa sollte morgens bzw. vormittags erfolgen, wenn man es endlich aus dem Bett geschafft hat. Da der Körper sich ohnehin nicht so schnell ans Wachsein gewöhnen kann, zieht man sich mit seinem Kaffeehäferl und der Vitamintablette am besten sofort aufs Sofa zurück, wo auch eine Tagesdecke bereitliegen sollte, falls man kalte Füße kriegt. An diesem Ort läßt man den vergangenen Tag Revue passieren, plant die bevorstehenden Stunden, kriegt dann unweigerlich Depressionen und geht wieder für ein Stündchen ins Bett.
3. Weitere (kurze oder längere) Sofasitzungen während des Tages sind dringend anzuempfehlen. So zieht man sich zum Beispiel gerne zum Telefonieren aufs Sofa zurück, weil man da in romantischen Situationen gefahrlos die Augen schließen kann; vergönnt sich zwischendurch die Nachrichten per Teletext, damit man sich die blöden Tageszeitungen ersparen kann; liest ein Kapitel in dem Buch, das man gerade in Arbeit hat; oder gönnt sich einen kleinen Imbiß. Bei letzterem achte man darauf, daß Brösel und andere Essensreste sofort entfernt werden. Wir befinden uns ja schließlich nicht im Schweinestall.
4. Der Abend (der sich definitionsgemäß bis in die frühen Morgenstunden hinziehen kann) ist jedoch die natürliche und gottgegebene Sofazeit, wie jeder erfahrene Sitzer weiß. Hat man das Glück, die Abendstunden alleine verbringen zu können, so tut man gut daran, auf dem Sofa alle notwendigen Utensilien aufzubauen, die da wären: Aschenbecher, Zigaretten, Feuerzeug, mindestens drei Fernbedienungen für das technische Gerät, die Entspannungs- oder anderen Drogen der persönlichen Wahl, ein Schnurlostelefon und Getränke (von Tee über Bier bis Mineralwasser; aber das alles stellen wir logischerweise nicht aufs Sofa, sonst fällt es nur um und versaut alles). Sollte man die Energie aufbringen, in der hauseigenen Küche/Kochnische/auf dem Campingkocher Nahrung zuzubereiten, dann verzehrt man selbige am besten ebenfalls auf dem Sofa sitzend - zu diesem Behufe empfehlen sich die beliebten chinesischen Eßschüsseln, weil die am leichtesten handzuhaben sind, wenn man keinen Tisch vor sich hat. Bestellt man das Essen allerdings telefonisch, so bereite man schon im Vorfeld seinen Platz, damit die Pizza von der Wohnungstür möglichst schnell und heiß in den Magen gelange. Zögern wird mit zachem Käse bestraft.
5. Routinierte Sofasitzer, die sich leichtfertig dafür entscheiden, den Abend außer Haus zu verbringen, werden spätestens gegen Mitternacht den Ruf des Sofas vernehmen; ob sie ihm folgen, ist ihr Problem. Jedenfalls sollte man es sich zum Prinzip machen, nach dem Heimkommen und vor dem Schlafengehen noch etwa mindestens ein Stündchen auf dem Sofa zu verbringen, um die Außenweltreize langsam abklingen zu lassen und sich zu besinnen. Wir Profis nennen das "serious Sofa-time". Geht man ohne Umweg ins Bett, fühlt man sich am nächsten Tag unvollständig; und das geschieht einem auch recht.
6. Empfohlene Sofa-Aktivitäten: lesen (Bücher, Illustrierte, Comics, Manuskripte etc.), durch die TV-Sender zappen, DVD/Video schauen, essen, trinken, rauchen, telefonieren, grübeln, Notizen machen, auf die gegenüberliegende Wand oder den Plafond starren.
7. Nichtempfohlene Sofa-Aktivitäten:
A. Hardcore-Fernsehen: Da das Fernsehen immer blöder und schrecklicher wird, halten Sofasitzer es nur unter schwerster Betäubung aus. Aus den meisten Sendern rinnt einem eh nur Schwachsinn entgegen; will man hingegen einen Kinofilm sehen, so ist der meist nicht nur geschnitten, sondern wird auch noch dauernd durch Werbung unterbrochen. Sowas macht zappelig – und Zappeligkeit ist sozusagen die Antithese zum Sofasitzen.
B. Schlafen: Sofas sollten so gebaut sein, daß man darauf zwar dösen kann, wenn man sich dementsprechend plaziert, daß aber jedes echte Einschlafen mit verbogenen Gliedmaßen, schwerer Verwirrung und Orientierungslosigkeit bestraft wird.
C. Fernsehen und dabei einschlafen: Wenn der Unfug aus dem TV-Gerät durch das schlafende Gehirn direkt ins Unterbewußtsein Einzug hält, muß mit üblen Folgen gerechnet werden - z. B. Schlafstörungen, Charakterschwäche, terminalem Marasmus und Gehirnwäsche. Dadurch wurden bereits die Besten unserer Generation zerstört. Früher war das anders, weil es damals noch einen Sendeschluß gab, und danach nur Bundeshymne und Weißes Rauschen, das dem Gehirn eine ordentliche Schlafunterlage verlieh (obwohl manche annehmen, daß sich in dem Rauschen geheimdienstliche Nachrichten verbargen); heute hingegen schenkt man uns 24 Stunden Programm auf allen Kanälen. Dabei sterben mehr Gehirnzellen ab als etwa bei heftigem Drogen- und Alkoholmißbrauch. Aber das glaubt ja eh wieder keiner ...
D. Sex: nur in Ausnahmefällen bzw. vorbereitenden/einleitenden Phasen
E. Arbeiten: Wozu besitzt man einen Schreibtisch?
8. Schwerer Sofa-Ausnahmefehler: Nach einem Aufenthalt in der Badewanne nur mit einem Schlafrock bekleidet auf dem Sofa einnicken, während der kalte Sturm durch die undichten Fenster hereinpfeift. So verkühlt man sich nur, wie oft bewiesen werden konnte. Sofas sind halt auch nicht ganz ungefährlich ...
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