Stories_L. Trondheim - Die Abenteuer des Herrn Hase

Genie im Abseits

Warum das Dahinscheiden des langohrigen Comichelden aus Frankreich doch nicht auf das Konto japanischer Kulleraugen geht, erfahren Sie von Manfred Prescher.    06.06.2005

Eigentlich könnte man die Schuld an der Tatsache, daß hervorragende Comics unveröffentlicht bleiben oder auf den äußersten Rand der langen Bank geschoben werden, bequem auf die Manga-Flut schieben.

Aber erstens würde so etwas leicht in platte Kapitalismuskritik von Franz Münteferingscher Prägung ausarten und zweitens sind die Mangas nicht wirklich dafür verantwortlich, daß Verlage auf Nummer Sicher gehen und auf Fernöstliches setzen. Denn Angebot und Nachfrage bestimmen sich bekanntlich gegenseitig - das bedeutet eben auch, daß sich immer weniger Comicfans für die Werke europäischer Künstler interessieren.

 

Ein Opfer der Manga-Erfolge ist der Franzose Lewis Trondheim. Der 1964 geborene Texter und Zeichner ist ebenso vielseitig wie fleißig und könnte rein von der produzierten Menge her - er arbeitet an mehreren Serien gleichzeitig - auch diverse rasant wachsende Manga-Reihen in den Schatten stellen. Die Crux daran: Bis auf die Geschichten um Lapinot (zu deutsch: "Herrn Hases haarsträubende Abenteuer"), die in Frankreich beim Asterix- und Lucky-Luke-Hausverlag Dargaud erscheinen, werden seine Reihen von kleineren Unternehmen herausgebracht. (Und die leiden bekanntlich besonders unter dem mangabedingten Auflagenschwund.)

Im deutschsprachigen Raum werden Trondheims Werke - bis auf wenige Titel bei Reprodukt (etwa "Die Fliege" oder "Mehltau") und Ehapa ("Die Kosmonauten der Zukunft") - von Carlsen verlegt. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn Carlsen scheint die geplanten Trondheim-Bände wirklich so verlegt zu haben, daß sie bis auf weiteres unauffindbar bleiben. Betroffen sind davon hauptsächlich die vier extrem witzigen, in Zusammenarbeit mit Joann Sfar ("Die Potamoks") entstandenen Donjon-Serien. Diese Geschichten aus der "Kerker"-Welt sollten zusammengenommen ein gigantisches Universum, angesiedelt irgendwo zwischen Pratchetts "Scheibenwelt" und "Duck Tales", ergeben, hierzulande werden sie jedoch lediglich Stückwerk bleiben. Zumindest für "Donjon"-Fans, die französische Comics nicht im Original lesen können. Dabei sollte die Mixtur aus herben Späßen, verquerer Mythologie und Fantasy-Persiflage - Geschichten wie "Der Vulkan von Vaucanson", "Die Prinzessin der Barbaren" oder "Das Hemd der Nacht" - auch aufgeschlossene Manga-Leser begeistern.

 

Bleiben die Abenteuer des Herrn Hase. Während ältere Bände leider nicht mehr aufgelegt werden, ist immerhin vor kurzem - und mit ziemlicher Verspätung - der zehnte und letzte Teil Wie das Leben so spielt erschienen. Da Carlsen ohnehin nie auf Trondheims Veröffentlichungsreihenfolge achtete und sich die Zusammenhänge zwischen den Storys dadurch nicht erschließen, können Sie auch genauso gut mit diesem Band in die Welt Lapinots einsteigen und die anderen bei Ebay oder den Regalen lokaler Comichändler zusammensuchen.

Alle zehn, jeweils auf 46 Seiten angelegten Bände stehen inhaltlich für sich selbst und bieten freilich wenig Abenteuer, dafür umso mehr philosophische Betrachtungen über das Leben, das Universum, die Liebe oder Spielekonsolen. Im Mittelpunkt stehen dabei der wortgewandte Moralist Hase, sein hedonistischer, stets nach Abwechslung und Fun gierender Kumpel Richard und die Journalistin Nadia, Hases große, letztlich zum Scheitern verurteilte Liebe. Innerhalb der zehn Bände geht es ins England des 19. Jahrhunderts ("Frühlingserwachen"), den Wilden Westen ("Blacktown") oder zum Skifahren ("Slaloms"). In "Ganz im Ernst!" nimmt Trondheim Krimi-Elemente auf, "Verflucht!" ist ein bizarrer Horrortrip und "Der atomare Teilchenbeschleuniger" glänzt als gelungene Hommage an Franquins "Spirou". Doch durch all die Zeiten- und Kulissenwechsel wird das Grundgerüst, also der unterhaltsame Diskurs über Gott, die Welt, das eigene Sein oder das beste Ballerspiel nicht erschüttert.

Der neue Band soll nun die Serie offiziell beenden, der feine Humor der anderen Geschichten wird dabei oft von Melancholie durchbrochen: Hases bester Freund Richard fällt ins Koma, überlebt aber. Dennoch geht der Tod um. Wer gestorben ist, sagt Trondheim dem Leser dabei niemals explizit, doch ist es klar, daß es sich um Herrn Hase handelt.

 

Habt ihr jetzt endlich genug über den Tod philosophiert? Gna gna gna, das ist so ungerecht ... Gna gna gna, wir würden so gern ein letztes Mal mit ihm reden ... Ihr trauert der Vergangenheit nach, statt im Hier und Jetzt zu leben … Denkt daran, daß wir alle millionenfach dem Tod entrinnen, bis auf das eine Mal, wo er siegt.

(Ein ungeladener Besucher einer Beerdigung macht sich auf dem Friedhof über die Trauergemeinde lustig)

 

Vielleicht sollte man doch den Mangas die Schuld am Tod des Herrn Hase geben? Aber nein, Dargaud würde gerne noch weitere Bände der Serie herausbringen, immerhin wurden in Frankreich von jeder Folge etwa 150.000 Exemplare verkauft - und das ist nicht nur in der japanisch dominierten Comic-Epoche eine ganze Menge Holz. Doch Trondheim hat keine Lust mehr auf seine erfolgreichste Schöpfung. Stattdessen zeichnet er unverdrossen weitere "Donjon"-Epen, nur werden diese den Fans hierzulande vorenthalten. Und dafür sind die Mangas schon verantwortlich. Irgendwie.

Manfred Prescher

Lewis Trondheim - Herrn Hases haarsträubende Abenteuer

(Carlsen Verlag)


# 1: Walter (D 1997, Ot: "Walter")

# 2: Verflucht! (D 1998, Ot: "Pichenettes")

# 3: Slaloms (D 1999, Ot: "Slaloms")

# 4: Blacktown (D 2000, Ot: "Blacktown")

# 5: Liebe und sonstige Kleinigkeiten (D 2000, Ot: "Amour et Intérim")

# 6: Frühlingserwachen (D 2001, Ot: "Vacances de printemps")

# 7: Ganz im Ernst! (D 2001, Ot: "Pour de vrai")

# 8: Die Farbe der Hölle (D 2002, Ot: "La Coleur de l’enfer")

# 9: Der atomare Teilchenbeschleuniger (D 2003, Ot: "L'accélérateur atomique")

# 10: Wie das Leben so spielt (D 2005, Ot: "La vie comme elle vient")

 

Und zwei Bände "Haarsträubende Abenteuer ohne Herrn Hase":

 

Mein Freund, der Rechner (D 2002, Ot: "Ordinateur mon ami")

Nicht ohne meine Konsole (D 2003, Ot: "Cyberculture, mon amour")

 

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