Snowpiercer
Korea/USA/F 2013
125 Min.
Regie: Bong Joon-ho
Darsteller: Chris Evans, Song Kang-ho, Tilda Swinton, Jamie Bell, Octavia Spencer u. a.
Die 64. Berlinale ist vorbei. Michael Kienzl war für EVOLVER vor Ort und präsentiert seine persönlichen Festival-Favoriten. 25.02.2014
Snowpiercer von Bong Joon-ho
Bong Joon-ho ("The Host") ist bekanntermaßen ein Garant für klug inszeniertes Genrekino. Vor kurzem hat der Südkoreaner seinen ersten Film auf Englisch gedreht. Das Werk basiert auf der Graphic Novel "Le Transperceneige" – und der Regisseur enttäuscht auch diesmal nicht. "Snowpiercer" ist ein überraschend komischer, immer wieder ins Groteske kippender Science-Fiction-Film mit multikultureller Besetzung. Weil die Erde in der Zukunft schockgefroren und damit unbewohnbar ist, haben sich die Überlebenden in einem endlos ratternden Zug verschanzt. Und während vorne die Elite im Überfluß lebt, plant der verdreckte, sich von glibbrigen Proteinriegeln ernährende Pöbel im hintersten Waggon den Aufstand. Ob ruhige, philosophische Momente oder rasant inszenierte Schlachten - Bong hält in jedem Abteil eine neue Überraschung parat.
The Kidnapping of Michel Houellebecq von Guillaume Nicloux
Wer Michel Houellebecq schon einmal im Fernsehen gesehen hat, merkte wahrscheinlich gleich, daß der misanthropische Bestseller-Autor ein Ungustl vor dem Herrn ist. Unter Regisseur Guillaume Nicloux darf er in "The Kidnapping of Michel Houellebecq" eine fiktive Version seiner selbst spielen und sich auf das spezialisieren, was er am besten kann: nörgeln, viel trinken und mit affektierter Handhaltung Kette rauchen. Der rudimentäre Plot handelt von der Entführung des Autors, wobei das eigentliche Augenmerk des Films darauf liegt, wie Houellebecq seinen breitschultrigen und etwas einfältigen Kidnappern auf die Nerven geht. Aus dieser ungleichen Zweckgemeinschaft entwickelt sich schließlich ein wunderbar absurder Humor, ohne daß Nicloux dabei jeder Pointe hinterherjagen müßte.
Love is Strange von Ira Sachs
Nur ein Jahr nach "Keep the Lights On" erzählt der amerikanische Independent-Regisseur Ira Sachs erneut eine bittersüße Liebesgeschichte unter Männern. Diesmal handelt es sich um ein von John Lithgow und Alfred Molina verkörpertes älteres Paar, das sich ausgerechnet nach seiner Hochzeit dazu gezwungen sieht, getrennt zu leben. Schuld an allem ist die Kirche, aber auch ein durchgentrifiziertes New York, in dem sich die Bohemiens die Mieten nicht mehr leisten können. Und so muß Molina bei seinen sehr viel jüngeren, vergnügungssüchtigen Freunden wohnen, während Lithgow seiner Verwandtschaft zur Last fällt. "Love is Strange" hätte leicht eine sentimentale Komödie werden können, die sich auf die Skurrilität ihrer Figuren verläßt. Stattdessen umschifft Sachs gekonnt allzu offensichtliche Konflikte und erzählt visuell elegant vom Kreuz mit der eigenen Familie und einer Liebe, die durch die Abwesenheit des anderen noch einmal richtig zu strahlen beginnt.
That Demon Within von Dante Lam
Dante Lam zählt aktuell zu den interessantesten Actionregisseuren aus Hongkong. Nachdem er bereits mit den beiden großartigen Filmen "The Beast Stalker" und "The Stool Pigeon" auf der Berlinale vertreten war, ist er nun mit einem neuen, unheimlich finsteren Film zurückgekehrt. "That Demon Within" ist ein wilder, ausufernder Fiebertraum, in dem der Schwerkraft getrotzt und die Hölle auf Erden beschworen wird. Die Handlung dreht sich um einen Cop, der von der Jagd auf einen Kriminellen besessen ist, dabei aber erst einmal mit seinen eigenen Dämonen ringen muß. Ein richtiger Noir-Reißer also, der sich im Gegensatz zu westlichen Vertretern des Genres auch traut, ordentlich über die Stränge zu schlagen.
Boyhood von Richard Linklater
Eigentlich hatte jeder damit gerechnet, daß Publikumsliebling Richard Linklater in diesem Jahr den Golden Bären mit nach Hause nehmen würde. Stattdessen gab es den Regiepreis und die Herzen der Zuschauer. Linklaters Langzeitprojekt ist eine teilweise arg geschmeidige, aber eben auch sehr schöne Coming-of-Age-Geschichte, die nicht nur von der Kindheit und Jugend seines Protagonisten erzählt, sondern auch von Amerika aus der Perspektive eines glühenden Demokraten. Ereignisse wie der 11. September und die Wahl Obamas fließen ganz natürlich in den Film ein, und dank dezenter musikalischer Hinweise weiß man auch immer, im welchem Jahr man sich gerade befindet. Ähnlich wie in der "Before Sunrise"-Trilogie spannt Linklater einen breiten Erzählbogen, der es dem Publikum ermöglicht, den Schauspielern über einen Zeitraum von zwölf Jahren beim Altern zuzusehen.
Ice Poison von Midi Z.
Der birmanische Regisseur Midi Z. interessiert sich in seinen Filmen für die Schattenseiten seines sozial und politisch gebeutelten Heimatlands. "Ice Poison" ist sein dritter Spielfilm und schon sehr viel geradliniger und klarer erzählt als die beiden experimentelleren Vorgänger. Am Anfang steht ein Ultimatum: Ein junger Bauer tauscht seine Kuh gegen ein Motorrad, um sich damit als Taxifahrer über die schlechte Ernte zu retten. In einer Woche will er genug Geld verdient haben, um sich die Kuh zurückzukaufen. Doch die starke Konkurrenz und die Bekanntschaft zu einer seiner Kundinnen treiben ihn auf die schiefe Bahn. Mit nüchterner Distanz beobachtet der Film, wie sich die beiden zunehmend mit der Droge Crystal Meth zugrunderichten und lediglich in einer heruntergekommenen Karaoke-Bar noch von einem besseren Leben träumen. Spätestens, wenn in der schwer erträglichen Schlußszene die verliehene Kuh geschlachtet wird, ist klar, daß der Regisseur nicht allzu viel Hoffnung für die Jugend in seiner Heimat hat.
Snowpiercer
Korea/USA/F 2013
125 Min.
Regie: Bong Joon-ho
Darsteller: Chris Evans, Song Kang-ho, Tilda Swinton, Jamie Bell, Octavia Spencer u. a.
The Kidnapping of Michel Houellebecq
F 2014
92 Min.
Regie: Guillaume Nicloux
Darsteller: Michel Houellebecq, Mathieu Nicourt, Maxime Lefrançois, Françoise Lebrun u. a.
Love is Strange
USA 2014
98 Min.
Regie: Ira Sachs
Darsteller: John Lithgow, Alfred Molina, Marisa Tomei, Charlie Tahan, Cheyenne Jackson
That Demon Within
HK/CN 2014
112 Min.
Regie: Dante Lam
Darsteller: Daniel Wu, Nick Cheung, Andy On, Kai Chi Liu u. a.
Boyhood
USA 2013
164 Min.
Regie: Richard Linklater
Darsteller: Patricia Arquette, Ethan Hawke, Ellar Coltrane, Lorelei Linklater
Ice Poison
Taiwan/Myanmar 2014
95 Min.
Regie: Midi Z.
Darsteller: Wang Shin-Hong, Wu Ke-Xi u. a.
Berlinale 2014
64. Internationale Filmfestspiele Berlin
Berlin, 6. - 16. Februar 2014
Michael Kienzl hat die Filmfestspiele auch 2017 überlebt und berichtet von seinem Ausflug in die Virtual Reality - mit Alejandro González Iñárritu, südkoreanischem Genrekino und Jean-Stéphane Sauvaires Triumph in Sachen Häfenkino.
Auch 2017 hat sich unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl wieder unters Cineasten-Volk gemischt,um die sehenswertesten Filme an der Cote d´Azur unter die Lupe zu nehmen. Wir liefern eine leicht verspätete Vorschau auf das Festival-Treiben.
Paul Verhoeven weiß immer noch, wie man das Publikum gekonnt gegen den Strich streichelt. Mit einer über 60jährigen Isabelle Huppert in der Hauptrolle ist die Djian-Verfilmung "Elle" ein längst überfälliges und höchst willkommenes filmisches Lebenszeichen des holländischen Maestros.
Unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl ist aus Cannes zurückgekommen und liefert eine Bestandsaufnahme zu übergangenen Filmperlen und gepflegten Langeweilern - von Paul Verhoeven bis Cristian Mungiu.
Unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl hat sich trotz Terror-Alarm (der europaweit eh schon zur Routine wird) auch heuer nach Cannes gewagt - und präsentiert exklusiv im EVOLVER die wichtigsten Filme, die diesmal an der Cote d´Azur zu sehen sind.
Nach dem Vorgeschmack folgt der Rückblick: Michael Kienzl berichtet über seine Eindrücke von den Filmfestspielen in Cannes - und von fetten Franzosen sowie mangelnder Revolution.
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