Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 10

The Strokes: "Juicebox"

Die Strokes passen als Postermotiv in jedes Mädchenzimmer und klauen zwecks Inspiration gern bei Kollegen. Manfred Prescher bescheinigt ihnen trotzdem Hit-Tendenz.    09.01.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Im Jahr 2000 machten sich die Strokes auf, vom Übungsraum ihrer Highschool aus die Welt zu erobern. Aula-Rock, Indierock, Stadionrock - ginge es nach Sony/BMG, die die Strokes nach den ersten paar Songs unter Vertrag nahmen, dann wäre das Quintett bald so groß im Geschäft wie Nirvana und würde Untergrund und Mainstream gewinnbringend vereinen. Was natürlich nur eine Zeit lang funktionieren kann und unter Umständen lebensbedrohende Nebenwirkungen für hypersensible Hochbegabte nach sich zieht.

Aber die Strokes sind keine empfindsamen Genies, und das Vereinen von Subkultur und Media-Markt läßt sich von Plattenfirmen nicht wirklich steuern. Das wissen auch die Strokes - und machen daher genau das, was sie können: sie outen sich als Fans von Nirvana und Velvet Underground und geben die Krawallschachteln. Gleichzeitig plündern die vier New Yorker Nick Valensi, Nikolai Fraiture., Julian Casablancas, Fabrizio Moretti und Albert Hammond Jr., der Superstar-Sohn aus dem Sonnenstaat, die Asservatenkammer des Pop. Der liegengelassene Rest der Geschichte wird mit Post-Grunge verbunden, wodurch der Lärm catchy wird und sich die ungelenken Gitarrensalven plötzlich auch bei größeren Menschenmengen in den Gehörgängen festsetzen.

Auf dem neuen Album "First Impressions Of Earth" finden sich Zitate und Spurenelemente von Naheliegendem wie den Vines oder Teile aus Iggy Pops "Lust For Life", aber auch von Michael Jacksons "Billy Jean" oder Barry Manilows "Mandy". Nicht eben das, was einen soliden Grunge-Kracher ausmacht. Dafür läßt es sich aber prima mitsummen.

Der Rockstar von heute wirft nichts weg, er kann alles brauchen. Vor allem, wenn die Geistesblitze nicht kommen wollen. Die Strokes-Single "Juicebox" ist das gelungene Produkt eines phantasievollen, höchst kreativen Umgangs mit der eigenen Ideenlosigkeit. Man klaut sogar bei alten Fernsehserien. Möglicherweise hätte der legendäre TV-Detektiv Peter Gunn seine Freude an dem Song - oder er würde die Band wegen Diebstahl von geistigem Eigentum hinter Schloß und Riegel bringen. Die Crime-Show "Peter Gunn" sorgte in den USA für Furore, als die Eltern der Strokes noch Kleinkinder waren. Hinter der Serie stand Blake Edwards ("Der rosarote Panther"), der auch das berühmte, voranpreschende Titelstück aussuchte. Das stammt wiederum von Henry Mancini, der allerdings für das donnernde Thriller-Intro von "Juicebox" keinen Komponisten-Credit bekommt. Nicht weiter schlimm, denn Mancini ist seit ziemlich exakt elf Jahren tot. Wie übrigens auch Kurt Cobain, der als Geist hinter dem Rest des Songs schwebt.

Man kann sich richtiggehend vorstellen, wie die Band im Übungsraum vor sich hinbrütet: "Klar, der Song soll nach Grunge klingen", sagt Hammond Jr. und spielt die Riffs von "In Utero" nach. "Aber was nehmen wir dazu?", fragt er. "Julio Iglesias? Lancelot Link & The Evolution Revolution? Garth Brooks?" wirft Casablancas in die feuchtfröhliche Runde. "Schalt doch mal das Notebook ein und schau, wer kurz vor oder kurz nach Cobain den Löffel abgab", fordert Bassist Nikolai Fraiture. Hammond durchstöbert also das Internet und stößt auf Henry Mancini. "Geil! Wir nehmen 'Pink Panther'!" "Zu verspielt", findet Fraiture. "Oder 'Moon River' ", schlägt Schlagzeuger Moretti vor. "Zu langsam", meint Hammond und hat die Idee: "Wir nehmen das 'Peter Gunn Theme', das ist fetzig, paßt wie der Arsch auf den Deckel, und jeder kennt es". Gesagt, getan.

Eine geschätzte Stunde später ist der Song im Kasten - und es wurde etwas zusammengefügt, was sich weder Cobain noch Mancini im Traum vorstellen konnten oder wollten. Auf dem Riff des berühmten Krimiserienmotivs surft man mit traumwandlerischer Leichtigkeit in die Garage, in der der Rest des Liedes vor sich hin hämmert. Eine Steigerung ist noch möglich: Wie wäre es denn, wenn die Strokes "Come As You Are" mit dem fingerschnippenden Intro zu "77 Sunset Strip" verbinden würden? Oder "Even Flow" von Pearl Jam mit "Bonanza"? Es scheint, als bliebe vom einstigen Teen Spirit im Jahre 2006 doch nur Mief übrig.

Smells like stale air. Und ist trotzdem nur schwer aus dem Zimmer zu kriegen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Strokes - First Impressions Of Earth


Sony/BMG (USA 2005)

 

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