Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 15

Arctic Monkeys: "When The Sun Goes Down"

Eine Hype-Welle nach der anderen überrollt das Königreich. Manfred Prescher sinniert anhand der Arctic Monkeys über die stetig sinkende Halbwertszeit britischer Bands.    13.02.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Was waren das für Zeiten, als Elvis Costello "This Year´s Model" besang? OK, das ist wirklich schon ewig und drei Tage her. Aber seit der Zeit, als ein Gebot vom "Melody Maker" ausging, daß es einmal alle zwölf Monate neue Beatles zum Abfeiern geben müsse, ist noch nicht so viel Wasser die Themse hinuntergeflossen. Einige wenige Jahre gingen vorüber, in denen von Bristol bis Manchester, von Liverpool bis Glasgow jede Gegend mal ganz demokratisch in den Genuß kam, die allerangesagteste Kombo von allen zu stellen.

Doch ein Jahr ist eine Ewigkeit - und nichts ist so fad und unansehnlich wie der Schnee von gestern. Und an den Hype vom Januar erinnert sich im März schon keiner mehr. So kommt es also, daß der Haltbarkeitszeitraum für frische, neue Musik immer kürzer und daher auch der Bedarf an coolen Bands immer größer wird. Aus "This Year´s Model" ist längst "This Minute´s Model" geworden, und es dauert nicht mehr lange, da werden Aufstieg und Fall in Sekundenbruchteilen vonstatten gehen. Erstaunlich dabei ist vor allem, daß sich auf der Insel immer noch begabte Bands finden lassen.

Kaiser Chiefs, Bloc Party, Futureheads, Art Brut und nun die Arctic Monkeys - keine dieser Gruppen ist schlecht, alle plündern sich geschickt durch eines oder mehrere Segmente der Pop-Historie und sind trotzdem leicht auseinanderzuhalten. Freilich: Wie lange sie erfolgreich sein werden, hängt nicht allein vom zweifellos vorhandenen Talent ab, sondern eher davon, wieviel Lärm um ihre Nachfolger gemacht werden wird.

Die Arctic Monkeys beispielsweise sind dermaßen durchgestartet, daß sie alle Rekorde brechen: Das Album "Whatever People Say I Am, That´s What I Am Not" hat sich in Britannien in der Startwoche besser verkauft als die erfolgreichsten CDs von Oasis und "England sucht den Superstar" zusammen. Die Rekorde der Beatles oder von Take That sind passé - das bedeutet, daß die Monkeys immerhin das Maximale abgeschöpft haben werden, wenn sich die nächste Gruppe mit einem noch bescheuerteren Namen für einen pop-historischen Moment zum Affen machen darf.

Irgendwie haben sich die vier aus Sheffield aber auch clever angestellt: sie nutzten das Internet, um sich und ihre Songs bekannt zu machen. Sie waren Stars, bevor überhaupt eine Single oder gar etwas Größeres in den Läden stand. Als dann die erste Maxi-CD "I Bet You Look Good On The Dancefloor" herauskam, mußte das Ding auf Nummer eins der Charts gehen. Das Album hat sich so gut verkauft, daß sich in so ziemlich jedem britischen Haushalt mindestens ein Exemplar davon befindet. Die zweite Auskopplung "When The Sun Goes Down" erreichte ebenfalls die Pole-Position.

Was ich hier beschreibe, dauerte kaum länger als die Zeit, die ich zum Tippen benötigte: Die Tommies stürmten in einer solchen Windeseile die Läden, daß sich die zweieinhalb Minuten hektischer, raubauziger Power-Pop, die von "When The Sun Goes Down" bleiben, wenn man das eher ruhige Intro mal außer acht läßt, dagegen glatt lahmarschig ausnehmen. Ist natürlich nicht lahm, sondern flott und eingängig. Nicht besonders originell, nicht besonders gut gespielt, eher ein wenig schrummelig. In breitem Sheffielder Idiom vorgetragen, immer leicht dissonant instrumentiert, wirkt die ziemlich durchschnittliche Melodie charmant und ebenso unfertig wie die restliche Band.

"Richtig" spielen können die Jungs zwar nicht, aber das muß auch nicht sein. Die Smiths, Clash oder Blur waren alles andere als virtuos, doch ihre Erstlinge waren es sehr wohl. Was von den Arctic Monkeys wirklich zu halten ist, wird man wissen, wenn sich die Fans längst neuen Helden zugewandt haben werden und die Musikjournaille andere Novizen in den Pop-Himmel loben wird, in den man eigentlich erst kommen sollte, wenn die Qualität der Songs den ersten Elan übersteht, so wie es den Futureheads gelingt und wie es auch Franz Ferdinand geschafft haben. Die Ferdinands sind immerhin Label-Genossen der Polaräffchen, aber schon einen Schritt weiter, denn sie haben den Hype-Status längst überwunden - was daran liegt, daß selbst die schlechteren Songs der beiden Ferdinand-Alben mehr Substanz haben als "When The Sun Goes Down".


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Arctic Monkeys - Whatever People Say I Am, That´s What I Am Not


Rough Trade (GB 2006)

 

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