Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 17

Adam Green: "Nat King Cole"

Richtige Charmebolzen wickeln Manfred Prescher auch mit aufgewärmten Songs um den Finger - so wie es diesmal dem jungen Herrn Adam Green gelingt.

   27.02.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Ich treffe einen befreundeten Musikredakteur beim Stöbern in den Neuerscheinungen, wir plaudern und fachsimpeln, daß die gemeinsam gehegte Pflanze namens Namedropping die buntesten Blüten treibt. Zwangsläufig fällt irgendwann auch der Name Adam Green, der Mann ist schließlich dermaßen angesagt. "Völlig überhypet", findet der Kollege, Vergleiche mit Bob Dylan oder Leonard Cohen seien absolut fehl am Platz, denn Green wäre als Songwriter allerhöchstens Mittelmaß. Mehr als maximal drei unterschiedliche Lieder hat er nicht im Programm. Eines davon ist langsam, eines eignet sich zum Mitschunkeln auf alternativen Feten, und das dritte ist die Uptempo-Variante der beiden anderen Stücke. Trotzdem muß man den Typen mit seinen braunen Wuschelhaaren und dem melancholischen Dackelblick einfach mögen. Solche Merkmale stehen nun mal für eine unbezwingbare Mischung aus charmanter Verwirrtheit, Sexappeal und Kindchenschema. Und den bewußten Einsatz des Künstlerkörpers schätzt man ja auch bei Bob Dylan, Nick Cave oder Nick Drake, ja, sogar bei Paul McCartney und Ray Davies. Bei Green kommt noch die tiefe, zum schmächtigen Body und den sanften Zügen nicht passen wollende Stimme hinzu. Getreu dem Motto: "While my dackel gently brumms".

Natürlich ist das musikalische Repertoire von Adam Green ziemlich begrenzt. Richtig deutlich wird das mit der aktuellen Single "Nat King Cole". Wer die bisherigen drei Soloalben des Chefs der Moldy Peaches besitzt, kann das Lied sofort mitsummen. Auf der CD "Gemstones" ist die flotte Variante des typischen Green-Songs beispielsweise als "Over The Sunrise" zu hören. Eigentlich es nicht der Rede wert, wenn ein Künstler mit seinen Einfällen sparsam umgeht und die Ideen recyclet, das machen viele. In der Regel falle ich auch nicht allzu lange darauf herein: Den zweiten Aufguß finde ich vielleicht noch nett, schließlich ist auch ein Musikredakteur nicht davor gefeit, sich an Wiedererkennbarem zu erfreuen. Die dritte Variante ist dann langweilig, die vierte wird schließlich nicht mehr zur Kenntnis genommen.

Doch Adam Green ist ein echter Mistkerl, denn er schafft es wirklich, mir auch noch die zigste Version seiner Songs unterzujubeln - und "Nat King Cole" ist diese zigste Version. Es ist einfach sooo süß, wie er im Video zur Single in unsere komplexe Welt hineinstarrt. Adam Green gibt das Unschuldslämmlein perfekt. Dazu perlen Zeilen aus seinem Gesicht, die sinnfrei sind, sich aber eben doch einprägen: Oder wer weiß schon, was "the tragical part of the night" ist? Vermutlich hat jeder Hörer eine eigene Vorstellung davon, was der New Yorker Schelm mit diesen Worten meint. Sentimental, wie ich nun mal bin, habe ich dieses Bild im Kopf: Wir sitzen bei mir auf dem Sofa. Was ein romantischer Abend werden sollte, ist in eine dunkle Nacht voller Mißverständnisse übergegangen, und ehe der Morgen graut, ist sie alles losgeworden, was mich in ihren Augen unwürdig für sie erscheinen läßt. Dazu klingt leise die zarte Stimme von Nat King Cole, doch längst singt der Crooner nicht mehr verzückt von Lust und Liebe, sondern Zeilen voller Bitterkeit: "There goes my heart/there goes the one I love/there goes the girl I wasn´t worthy of/there goes my happiness, it couldn´t be/there goes somebody else in place of me".

Es sind auch andere Vorstellungen denkbar - und das weiß Adam Green natürlich. Er hält seine Bilder so vage, bietet nur den knappen Rahmen, die Leinwand und die ersten Striche. Den Rest füllt jeder nach seinem Gusto. In Interviews erzählt er gerne, daß er die Wirkung seiner scheinbar surrealen Sätze auf Breitentauglichkeit hin plant. Das ist die schiere Effekthascherei. Dafür, daß einem die Verse sofort auffallen und sich einnisten, sorgt die prompt hergestellte Vertrautheit mit der Melodie. "Nat King Cole" bietet - im Gegensatz zu - "Over The Sunrise" – Geigen, aber diese verwendete er exzessiv schon auf "Friend Of Mine". Und da gab´s auch eine Vorlage für die neue Single. Wie hieß die noch gleich?

Auf dem neuen Album "Jacket Full Of Danger" erweitert Adam Green sein Spektrum allerdings. Aus drei Songs werden mindestens sieben: Blues, Country, Swing und Funk, ja, richtig gelesen, Funk - er wildert durch Stile, singt dazu mit deutlich noch tiefer gelegter Stimme. Der Mistkerl wickelt mich glatt schon wieder um den Finger.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Adam Green - Jacket Full Of Danger


Rough Trade (USA 2006)

 

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