Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 19

Van Morrison: "Your Cheatin´ Heart"

Diesmal dreht sich in Manfred Preschers Kolumne alles um legendäre Country-Klänge und nicht überzeugende Remakes - starring: den schlechtgelauntesten Mann des Rock´n´Roll.    13.03.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Der dicke Mann seufzt: "Mensch, ist mir langweilig. Irgendwie habe ich schon alles einmal gemacht." Da ertönt aus dem Off eine sanfte Stimme und hakt nach: "Wirklich alles?" Der dicke Mann denkt nach, fährt dabei mit den Fingern über die Landkarte und bleibt schließlich über Nashville hängen. "Ob ich da schon mal war?" überlegt der Dicke. Er kann sich nicht erinnern - und vergreift sich an Hank Williams.

 

Wenn jemand für sich in Anspruch nehmen kann, so etwas wie der popmusikalische Vertreter für das Land Baden-Württemberg zu sein, dann ist es Van Morrison. Der Nordire würde perfekt zum süddeutschen Bundesland passen: Beide prosperieren auch in schlechten Zeiten. Während die Schwaben und Badenser unter anderem Porsches durch die entlegensten Winkel des Planeten sausen lassen und sich zu Exportweltmeistern entwickeln, zeigt "Van the Man" den spätherbstlichen Wohlstand, in dem er immer ungenierter sein Moppel-Ich zur Schau stellt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Einer wie Morrison ist längst über alle Schönheitsideale erhaben, wenn er das nicht sogar schon seit den frühen 60er Jahren war, als er mit der Gruppe Them seine Karriere begann. Er vertraut einfach auf sein Können - und auch das verbindet ihn mit Baden-Württemberg. Ein Werbespot der Region zwischen Bodensee und Pfalz erklärt selbstbewußt: "Wir können alles - außer Hochdeutsch."

Mit dem Deutschen hat der Mann natürlich auch so seine Schwierigkeiten, aber sonst kann er alles - glaubt er zumindest. Er swingt und groovt, gibt den Jazzer, fabriziert New-Age-Gedaddel zu Ehren des Scientology-Gurus L. Ron Hubbard und kontrastiert mit Meilensteinen wie "Astral Weeks", mit dem Prog-Rock vor Jahr und Tag ein menschliches Antlitz bekam. Mit den Chieftones rockt er folkig, mit Lonnie Donegan bringt er Skiffle auf die Bühnen, Soulhymnen wie "Days Like This" perlen nur so aus ihm heraus, Blues hat er schon seit Them-Tagen drauf. Aber wie schaut es mit Country aus? Sein erster Versuch, eine Duett-CD mit Linda Gail Lewis, der Schwester von Jerry Lee, ging ziemlich unter. Obwohl sich die Fans längst an die Vielseitigkeitseskapaden von Morrison gewohnt haben dürften, ignorierten sie den ersten Ausflug ins Marlboro-Country.

 

So eine Schmach konnte der selbsternannte Tausendsassa und Grenzüberschreiter natürlich nicht auf sich sitzen lassen - und wagt sich knapp sechs Jahre nach dem ersten Versuch erneut nach Nashville/Tennessee. Dort versucht er sich an Klassikern des Genres und fährt die Postkutsche mit voller Wucht an die Wand des nächstbesten Saloons: Er nimmt sich Hank Williams Evergreen "Your Cheatin´ Heart" vor. Mit dem Covern dieses Songs haben andere schon zu Lebzeiten der Songwriter-Ikone begonnen, und zu viele haben das Lied in den vergangenen fünf Jahrzehnten aufgenommen.

Sowohl Nat "King" Cole" als auch Ray Charles zeigten schon, daß sich die originale Instrumentierung mit Präriegitarre äußerst stilvoll mit Streichern verknüpfen läßt. Doch, doch, Opulenz und Kargheit kann man mischen, wenn der Hörer das Leid, das in schlichten Zeilen wie "When tears fall down like fallin´ rain/You´ll toss around and call my name" steckt, sofort mitfühlt. Im Vergleich zum "blind genius" zeigt sich, daß Van Morrison nicht soulful genug ist, diesen Song zu interpretieren; von tiefer Trauer und Verletztheit ist nichts zu spüren. Zurück bleibt eine - zugegebenermaßen - geniale Melodie, die man unweigerlich mitsummt.

Wenn sich also einer nicht mit Baden-Württemberg vergleichen läßt, dann ist das Hank Williams. Der konnte beileibe nicht alles, eigentlich konnte er nur geniale Lieder vom Leiden und Verzweifeln an der Menschheit im allgemeinen und den Frauen im besonderen schreiben. Jazzigen Swing, Groove oder Las-Vegas-Bombast steuerten andere Sänger mit anderen Versionen bei. Hank Williams war der Schmerzensmann der Popmusik, einer der ersten prominenten Drogentoten und wahrscheinlich der erste bekannte Fall eines magersüchtigen Mannes. Im Gegensatz zu Morrison trug er keinen Knödelfriedhof spazieren, sondern war das personifizierte Unglück. In den letzten zwei, drei Jahren seines schließlich in der Silvesternacht 1952 im Elend des eigenen Erbrochenen beendeten Lebens prosperierte auch die Karriere nicht mehr. Als 1953 die originale Acetat-Scheibe von "Your Cheatin´ Heart" herauskam, spürte beinahe jeder die Beklemmung, die von den Worten "You´ll cry and cry and try to sleep" ausging.

Wenn ich heute Van Morrison höre, spüre ich nichts. Er könnte zur Melodie des Klassikers auch Namen aus dem Telefonbuch von Nashville/Tennessee oder Pforzheim/Baden-Württemberg rezitieren. Und das ist der Unterschied zwischen einem, der an der Seelenpein zugrundeging und einem, dem wahrscheinlich höchstens die Winde plagen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Van Morrison - Pay The Devil


Universal Music (GB 2006)

 

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