Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 21

Prince: "Black Sweat"

Einst galt er als Genie - und selbst Manfred Prescher fiel bei jeder neuen Prince-Single andächtig auf die Knie. Doch diese Zeiten sind vorbei. Der einzige, der das nicht merkt, ist Prince.    27.03.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Nein, auf die obskuren Namensänderungen will ich jetzt nicht eingehen, für mich bleibt Prince Roger Nelson auf ewig "TAFATGGSM" - oder "the artist formerly known as the greatest genius since Mozart". Da kann er machen, was er will - und zu meinem Leidwesen macht er genau das. Gut, früher tat er das auch schon, aber irgendwie war doch alles anders: Auf einem riesigen Plüschherz liegend spielte er perfekte Hendrix-Soli, beschenkte alle Besucherinnen seiner Konzerte mit lila Rosen und nahm ganze Alben im Alleingang auf. Und selbst die eifrigsten Bootleg-Sammler kamen mit dem Erwerb von Prince-Songs nicht nach. Der Mann schien ein dermaßen unerschöpfliches Archiv an Meisterwerken zu horten und so vor Ideen überzusprudeln, daß es seiner Plattenfirma nie gelang, seinen Output in marktkompatible Bahnen zu lenken. Nicht mal das Outsourcen von Songs wie "Manic Monday" oder "Nothing Compares 2U" half - Prince verkörperte das Maximum an Ideenreichtum bei multipler Instrumentenbeherrschung und dem Schwung dessen, der von sich absolut überzeugt ist. Er war das wahnsinnige Genie, das auf einer Doppel-LP Funk, Jazz, Gospel, Rock, Chanson und polyrhythmischen Pop vereinte und doch zu jeder Sekunde als Prince erkennbar blieb. Daß die erwähnte Doppel-LP eigentlich aus fünf Platten bestehen hätte sollen, erwähne ich an dieser Stelle nur, weil es ein Beleg für die überbordende Allmachtsphantasie des Kreativlings ist.

 

In den 80er Jahren war Prince zu allem fähig, und alles schien in sein immer schon äußerst selbstreferentielles Koordinatensystem zu passen: Jam-Sessions mit Miles Davis oder Begleitmusikern von James Brown genauso wie After-Show-Partys, bei denen er sich die Songs anderer einverleibte. Aber schon in den frühen 90ern konnte - wer wollte - erkennen, daß sich Prince in der Beliebigkeit von Wiederholungen verlor. Selbst erfolgreiche Platten wie "Diamonds And Pearls" oder das "Love Symbol"-Album waren eigentlich nur aus bereits vorhandenen Formen gegossene Neuauflagen.

Andere Künstler hätte man für Songs wie "7" oder "Get Off" in den Himmel gehoben. Doch von einem, der uns signalisierte, daß sein Ideen-Pool unerschöpflich sprudelte und daß man ihn mitten in der Nacht wecken könnte und er binnen weniger Minuten fünf Ohrwürmer von - mindestens - "Alphabet St."-Qualität abliefern würde, war das schlicht zu wenig. Das eigene Großmaul wurde dem Kleinen mindestens so sehr zum Verhängnis wie die Unzahl zeitloser Geniestreiche, die er vorher veröffentlicht hatte. Diese glorreiche Vergangenheit ist heute noch Fluch und Segen gleichzeitig: Mit jedem seiner immer flacher und unbedeutender werdenden Versuche, durch Selbstplagiat wieder auf die Erfolgsspur zurückzufinden, verliert er sich weiter in den Weiten seines eigenen Universums. Jeden anderen hätte man längst aufgegeben, doch Prince traut man sogar nach mehr als einem Dutzend kreativer Offenbarungseide wie "N.E.W.S" oder "Rainbow Children" immer noch zu, daß er wieder etwas ähnlich magisches wie "Sign ´O´ The Times" zustandebringt. Mit dem 2004er-Album "Musicology" schien er zumindest auf dem richtigen Weg zu sein. Die Songs waren frisch wie lange nicht mehr und wurden auf der erfolgreichen Tournee von den Fans durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen - auch wenn Sie lieber "Little Red Corvette" oder "When Doves Cry" hören wollten. Und nun? Nun will Prince mindestens drei Karriereschritte auf einmal nehmen, verrührt auf der CD "3121" wieder Rock, Soul, Jazz, Latin-Pop und Funk miteinander - und fällt aufs gepuderte Näschen.

Das Werk klingt wie "Sign ´O´ The Times" light. Schon die beiden Singles deuten das Scheitern des ganzen Albums an: "Te Amo Corazon" ist das Stück Latin-Kaufhaus-Swing, vor dem uns schon Duke Ellington oder Coleman Hawkins warnten, als sie zeigten, wie sich jazziger Groove und Salsa-Tango-Dingenskirchen auf höchstem Niveau verbinden lassen. Und die aktuelle Maxi "Black Sweat" versucht, das eigene "Sexy MF" mit James Browns "Cold Sweat" in Einklang zu bringen. Den Rhythmus hat der Godfather allerdings selber so oft verwendet, daß er in der Princeschen Variante so abgestanden wirkt wie eine offene Mineralwasserflasche, die vor Tagen auf dem Nachtkästchen vergessen wurde.

Die Bassline kommt im Stil von Bootsy Collins daher; das Schlagzeug klingt, als hätte das ehemalige Genie versucht, dem Drum-Computer beizubringen, wie Jabo Starks zu tönen - die Begleitmusiker des Herrn Brown gehören nicht erst seit 2006 ins selbstreferentielle System von Prince. Das ist schon recht gut, aber eben nicht gut genug. Damit kann er dem Anspruch, den ich immer noch an ihn stelle, nicht gerecht werden. Und der Mozart der Jetztzeit wird er so auch nicht wieder. Der Unterschied liegt ja auch auf der Hand: Wolfgang Amadeus hätte kurz nach der Veröffentlichung von "Sign ´O´ The Times" das Zeitliche - und damit sein Gesamtwerk - gesegnet.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Prince - 3121


Universal Music

(USA 2006)

 

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