Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 22

Nina Hagen: "Serenade In Blue"

Getreu dem Motto "Swing when you´re spinning" vergreift sich Grandma Nina an einem Frank-Sinatra-Standard - für Manfred Prescher eine einzige musikalische Tragödie.    03.04.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Bevor in der Zeitschrift "Stern" die hinteren Umschlagseiten mit den teuren Hochglanzanzeigen für Autos oder Uhren kommen, findet man seit Menschengedenken die Rubrik "Was macht eigentlich ...?" - und viele Leser beginnen damit die Lektüre des Magazins. Fast schon vergessenes menschliches Strandgut wird da aus unergründlichen Tiefen wieder ins Bewußtsein gespült. Der "Stern" lenkt unser Erinnerungsvermögen, und wir erfahren, was aus Lys Assia, der ersten Grand-Prix-Gewinnerin, oder dem Rennfahrer Jackie Ickx geworden ist. Manchmal sind auch Veteranen eines mehr oder minder kurzen Stücks Vergangenheit dabei, an die man sich lieber nicht mehr erinnern will - und hin und wieder wünscht man sich, daß dieser oder jener endlich auch seinen Platz auf der letzten redaktionellen Seite des "Stern" findet. Denn allerspätestens dann ist seine Karriere unwiederbringlich vorbei.

Also warte ich schon seit einigen Jahren darauf, endlich lesen zu dürfen, was eigentlich aus Nina Hagen geworden ist. Ich weiß, daß einmal ein Wunder geschehen wird und Nina dann auspackt, was mit ihr passiert ist, nachdem sie die Singerei aufgegeben hat und auch nicht mehr mit Donald-Duck-Stimme (verzeih mir, Donald) obskures Esoterikgeschwurbel in die heiße Luft der Talkshows bläst. Ginge es nach mir, so würde Nina dann erzählen, daß sie nun auf einem psychedelisch-bunten Planeten irgendwo im Beteigeuze-System wohnt und mit dem Alien liiert ist, der sie vor Jahr und Tag per Ufo zum ersten Trip ins All einlud. Und daß sie nur kurz hier ist, um Mama Eva Maria zum Muttertag zu gratulieren, weil ja die E-Mails aus Beteigeuze so oft unterwegs hängenbleiben.

Aber soweit ist es noch nicht - denn Nina Hagen zwängt sich ins glitzernde Abendkleid und schreckschraubt sich auf "Irgendwo auf der Welt" durch 17 Songs, die - wie "Flat Foot Boogie", "Day In - Day Out" oder "Serenade In Blue" - meist aus der Swing-Ära stammen - oder aus der musikalischen Asservatenkammer dessen, was zeitgleich in Großdeutschland zu hören war. Einmal bedient sie sich auch bei Hildegard Knef. Zu all dem spielt nicht etwa die Big Band der Bundeswehr (was irgendwie ziemlich passend wäre), sondern das Capitol Dance Orchestra. Die 13 Musiker sind wirklich gut, keine Frage, sie brachten vor kurzem sogar Barbara Schöneberger zum Swingen, aber auf "Irgendwo auf der Welt" klappt das Ganze nicht. Zu gestelzt demonstriert Nina ihren Stimmumfang und hackt mit ihrem Metzgersopran durch die überdies merkwürdige Zusammenstellung. Hört man diese CD, weiß man Robbie Williams erst richtig zu schätzen.

 

Daß sich Robbie an Ol´ Blue Eyes versuchte, war nämlich gar nicht so schlimm. Gut, er trug nachweislich einen braunen Anzug, obwohl es schon nach 22 Uhr war, was der leibhaftige Frank nie geduldet hätte, aber er zog sich doch recht achtbar aus der swingenden Affäre. Schlimmer als "Swing When You´re Winning" waren freilich die Trittbrettfahrer, die auf den Erfolgszug aufspringen wollten. Glücklicherweise fuhr der Robbie-Expreß so schnell, daß bis auf Paul ("My Way") Anka und Rod Stewart, der sich im Weichspül-Schongang die Rente aufbessern konnte, alle auf freiem Feld verloren gingen. Auch Nina Hagen: Auf der CD "Big Band Explosion" schnarrte sich die Urgroßmutter des Punk mit einem künstlich gerollten "R", das selbst Bruno Ganz im "Untergang" nicht besser hinbekommen hat, durch Oldies wie "Fever" oder "All Over Nothing At All". Zur Kenntnis nahm das kaum einer.

Ich hoffe inständig, daß dies auch beim zweiten Versuch nicht anders wird - aber es wird wahrscheinlich anders kommen. Denn "Serenade In Blue" ist ein verdammt guter Song, und das Capitol Orchester weiß um die Qualität des leider längst vergessenen Kleinods, das zunächst Glenn Miller in die Hitparaden gebracht hat und das unter anderem auch noch Dexter Gordon, Charlie Mingus, Doris Day und eben Frank Sinatra aufgenommen haben. Und weil das Lied aus der Feder Mack Gordons und Harry Warrens kaum jemand mehr kennt, könnte es sich auch in der Hagen-Version im kollektiven Gehörgang festsetzen. Wer das Album "Sinatra And Swingin´ Brass", von dem Franks geniale Version stammt, nicht ehrt, ist halt nur die Nina wert. Oder milder ausgedrückt: Wer´s nicht besser weiß, gibt sich mit Mittelmaß zufrieden. Das Robbie-Erfolgskonzept sozusagen. Es wird - in kleinerem Maßstab - wieder funktionieren. Man wird das Album in Szene-Bars spielen, kurz bevor die Stühle auf die Tische gestellt werden oder wenn es Zeit zum Auschillen ist. Bar-Lounge-Swing-für-"Brigitte"-Leserinnen-CD-Kompilationen werden den Hagen-Virus weiterverbreiten. Das bringt das Lied und Zeilen wie "So, tell me darling, is there still a spark/Or only lonely ashes of the flame we knew/Should I go on whistling in the dark, serenade in blue" wieder in Erinnerung.

Ich werde "Serenade In Blue" pfeifen - und zwar so laut, daß ich Ninas Organ möglichst für immer aus meinem Hirn dränge. Die ruiniert mir den Song sonst noch. Und wenn der "Stern" irgendwann mal "Was macht eigentlich Nina Hagen?" fragt, dann antworte ich in Richtung Hamburg: "Ich hoffe, die hat der Alien geholt."


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Nina Hagen & The Capital Dance Orchestra - Irgendwo auf der Welt


Universal

(D 2006)

 

Links:

Kommentare_

Antje - 15.09.2007 : 11.23
Na da haste dir dis Album wohl nicht richtig angehört!
Übrigens ist Nina Hagen auch nie auf diesen Zug aufgesprungen, sondern hat schon zu DDR Zeiten sehr viel Jazz und Swing gesungen. Sie hat auch immer erwähnt das das ihre Wurzeln sind und sie diese Musik über alles liebt.
Dir ist dann wohl auch entgangen das sie 1985 in Japan und Brasilien mehrere Swingkonzerte gegeben hat. In den 90ern hat sie auch im deutschen Fernsehen ab und zu Jazzsachen gesungen.
Und dann ist dir ja leider auch die wunderschöne Musik auf diesem Album entfallen. Bei dem vorigen BigBand Album gebe ich dir recht. Aber die Scheibe ist einfach genial!

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