Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 24

Kelly Clarkson: "Because Of You"

Amerika suchte einen Superstar, fand ihn und drückte ihn der restlichen Welt auf die Ohren. Doch wenn zwei das gleiche tun, ist es einfach nicht dasselbe - findet Manfred Prescher.    18.04.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Jedes Land sucht sich den Superstar, den es verdient. Die Deutschen haben ihren Tobias Regner, der immer noch "I Still Burn" singt - und hoffentlich irgendwann wirklich im Fegefeuer für diese musikalische Sünde büßen muß. Obwohl: Der Bub kann nichts dafür, weil ja, wie bereits gesagt, auch die Deutschen den Superstar bekommen haben, den sie verdienen. Und das ist nicht weiter der Rede wert, weil der Rummel um den 23jährigen Bayern ein lokales, auf den deutschsprachigen Raum beschränktes Phänomen ist. In Polen oder Frankreich kräht kein krankes Huhn nach unserem Superstar, mag die deutsche Presse ihm noch so oft attestieren, daß er irgendwie wie Metallica-Sänger James Hetfield klingt. Regner sieht zwar aus wie die Kinderausgabe von Jack Bauer, aber er würde wohl kaum mehr als eine Viertelstunde eines aufreibenden "24"-Tages überstehen. Seine Chart-Präsenz wird - wie bei "DSDS" üblich - ähnlich kurz verlaufen, was fast schon wieder schade ist, weil Regner immerhin etwas aus dem von Bohlen und RTL angelegten Sumpf herausragt - wie seinerzeit das herzige Monster aus Jack Arnolds Film "Der Schrecken vom Amazonas".

 

Wenn Usbeken, Deutsche oder Philippinen ihren Superstar wählen, ist das für den Rest der Menschheit so interessant, wie es für uns der sprichwörtliche Sack Reis ist, der gerade irgendwo im fernen China vom Lkw purzelt. Wenn die Musikmacht Nummer 1 ihre Casting-Barbie oder ihren Casting-Ken gefunden hat, ist das allerdings etwas ganz anderes. Sind die schätzungsweise acht Millionen Promo-CDs erst flächendeckend verteilt und bis in den letzten Winkel Hinterindiens oder Mecklenburg-Vorpommerns gelangt, dann ist das nächste Etappenziel von "Die USA sucht für die ganze Welt den Superstar" erreicht. Den Rest erledigen - mit freundlicher Unterstützung von SonyBMG - die gleichgeschalteten Dudelsender. Schließlich will der japanisch-deutsche Gemischtwarenladen endlich an Marktführer Universal Music heran. Am einfachsten und billigsten geht das, wenn der Casting-Aufwand von den Marketing-Profis aus den USA übernommen wird. Und spätestens jetzt hat die Hit-Garantie zum Schnäppchenpreis einen neuen Namen: Kelly Clarkson.

 

Ein wenig länger hat es schon gedauert, bis die Texanerin zur weltweit erfolgreichen Hit-Lieferantin werden durfte oder konnte. Bis weit ins Jahr 2002 sah es fast so aus, als sollte ihr künstlerischer Dunstkreis in etwa ihrer insgesamt mittelmäßigen Begabung entsprechen: Ein kurzer Gastauftritt in der albernen TV-Serie "Sabrina - total verhext" - darüber war man allerhöchstens in Kellys Heimatweiler Burleson/Texas stolz. Dann bewarb sie sich bei der Casting-Show "American Idol", wo sie sich mit Hofknicks und süßem Lächeln zunächst gegen 10.000 Mitbewerber und später gegen die anderen neun Auserwählten durchsetzte. Danach kam die bei der weltweiten Superstar-Sucherei übliche Maschine in Gang - allerdings in etwas größerem Umfang; ein Hummer-Truck ist nun mal kein Smart. Single und Album wurden produziert, verkauften sich in den USA prächtig, aber es schien doch so, als wolle dieser Kelch samt fadem Inhalt an uns vorübergehen. Wer regelmäßig die offizielle US-Hitparade im Branchenblatt "Billboard" liest, konnte aber schon damals (2003) erkennen, daß der Menschheit nur eine Gnadenfrist vergönnt war, die Ruhe vor dem wüsten Sturm. Ein schwarzes Dreieck mit einer kleinen Drei dahinter - das Symbol für mehr als drei Millionen verkaufte CDs, das ist auch nach US-Maßstäben so viel, daß man in den Konzernetagen davon ausgeht, daß sich der Künstler ohne weiteres weltweit vermarkten lassen wird. Dank der globalen TV-Erwärmung namens MTV waren auch Europäer und Asiaten längst - und ohne es zu ahnen - vom Kelly-Clarkson-Virus befallen.

 

Die Rechnung ist aufgegangen. Die zweite CD von Kelly Clarkson hat sich weltweit bislang knapp zehn Millionen Mal verkauft, und ein Ende der Hysterie um die Texanerin ist nicht in Sicht. Zumal für die Verbreitung der Pop-Chicken-Pest auch die wirksamsten Verbreitungsformate eingesetzt wurden - zu "Wetten daß?" darf nicht jeder; aber jeder, der bei Gottschalk singt, hat es im Sendegebiet von ZDF, ORF und DRS geschafft. Die niedliche Kelly knödelte ihr "Because Of You", und beinahe jeder war ergriffen. Wahrscheinlich haben noch während der Sendung Hunderttausende bei Amazon oder iTunes Song und Album geordert. Der Rest der Befallenen hat sich den klebrigsten musikalischen Kunsthonig seit Elton Johns Disney-Schmachtfetzen "Can You Feel The Love Tonight" wahrscheinlich gleich bei Ladenöffnung am Montag darauf geholt.

Wen der Clarkson-Virus befiel, der war plötzlich so vernebelt, daß er verklebte Gehörgänge mit gewärmten Herzen verwechselte. Wer auch nach "Wetten daß?" noch gesund und frei über seinen eigenen Geschmack verfügte, wurde (und wird) so lange mit "Because Of You" bombadiert, daß er sich unweigerlich dabei ertappt, wie er das Lied unter der Dusche vor sich hinsummt. Selbst plötzliches Umschalten der Mischbatterie von "heiß" auf "eiskalt" bringt dann nichts mehr.

Eigentlich wollte ich zum Schluß der Kolumne schreiben, daß die Amerikaner der Welt genau das geben, was sie verdient - "Because Of Yuuu-uuu" und Kelly Clarkson. Dann stand ich unter Dusche und ... Womit habe ich das verdient?!


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Kelly Clarkson - Breakaway


Sony BMG

(USA 2005)

 

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