Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 50/Teil 2

Die größten Miststücke aller Zeiten (11-20)

Manfred Prescher stellt 50 Songs vor, die sich in sein Langzeitgedächtnis gefressen haben. Diesmal: die Sechziger - das Jahrzehnt, in dem scheinbar alles möglich war.    17.10.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Eine musikalische Autobiographie zum Jubiläum: Manfred Prescher präsentiert 50 Songs, die er nie aus den Ohren verloren hat. Den Anfang macht die Ära vor den Sixties - von den Marx Brothers bis Dean Martin. Lesen Sie mehr im ersten Teil.

 

Doch diesmal ist die Zeit der Blumenkinder und studentischen Revoluzzer an der Reihe. Was in den Sechzigern musikalisch passierte, prägt nicht umsonst heute noch den Geschmack vieler Nostalgiker, ewiggestriger Hippies und Feinspitze ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

11. James Brown - I Don´t Want Nobody To Give Me Nothing (Open Up The Door, I´ll Get It Myself)


Der Titel dieses Songs ist fast genauso lang wie der Track selbst. "The hardest working man usw." verkündet ein markantes Statement über Speichellecker und Möchtegern-Günstlige - und rechnet mit den Kriechern ab. Wer ihm nichts bringt, hat in seinem Dunstkreis nichts verloren. Egoistisch, aber wenigstens ehrlich. Lassen sich Beziehungen bilanztechnisch bewerten? Manchmal schon.

 

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12. The Four Tops - 7 Rooms Of Gloom


Levi Stubbs ist vielleicht der beste in einer gigantischen Reihe hervorragender Soul-Sänger überhaupt. Es gibt niemanden, der tiefe Verzweiflung auch dann noch so unter die Haut gehend ausdrückt, wenn der Song ein flotter Ohrwurm ist. "7 Rooms Of Gloom" ist ein eher getragener, aber doch kraftvoller Schrei aus dem tiefsten Urgrund der verletzten Seele. Nicht nur die Wohnung, sondern die ganze Welt ist leer. "That´s how it is".

 

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13. Kris Kristofferson - Me And Bobby McGee


Dieses Lied schrieb der junge Kristofferson für Gordon Lightfoot, doch dann nahm es Janis Joplin auf. Was dabei herauskam, ist Teil der Musikgeschichte. Vergessen wird dabei aber oft Kristoffersons eigene Version - und die versprüht die Bitterkeit, die dem Text angemessen ist. Erzählt wird davon, daß ein Mensch etwas Einmaliges findet, vielleicht die große Liebe seines Lebens, das aber erst erkennt, als es zu spät ist. Diese Tragödie von antikem Ausmaß führt zwangsläufig dazu, das Leben "on the road" zu verbringen.

 

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14. The Rolling Stones - Dear Doctor


Die Stones haben ein Fable für Country-Musik. In die Backform, aus der diese erdnahen Traditionals entstehen, füllen sie meist deprimierende Zynismen über zwischenmenschliche Beziehungen – so etwa in "Far Away Eyes". Oder in "Dear Doctor", wo ein verzweifelter Junge darum bittet, daß man ihm angesichts der bevorstehenden Hochzeit das Herz herausnehmen möge. Dazu reicht es nicht einmal, größere Mengen Alkohol wie ein Schwamm aufzusaugen.

 

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15. Bob Dylan - Sad-Eyed Lady Of The Lowlands


Es sind definitiv die Augen, die mich bei Frauen zuerst in den Bann ziehen. Wenn der Blick so ist, daß ich ihm nicht standhalten kann, ist es die Richtige. Bob Dylans mehr als elf Minuten langes Lied ist der finale Höhepunkt auf dem genialen Doppelalbum "Blonde On Blonde". Gemeinsam mit Al Kooper und Robbie Robertson gelingt ihm eine Ode an die Liebste, die poetisch an Minnesänger und ihre Verse erinnert.

 

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16. The Bee Gees - Spicks And Specks


Noch ein Lied, das über vergangene Liebe philosophiert. Die Gebrüder Gibb lassen wie in einem Film noch einmal die Gesichter aller Verflossenen vorbeiziehen. Sie fragen sich, wo diese Frauen und mit ihnen die schönen Momente hin sind - und wissen es: sie sind ein für allemal weg und vorbei. Dieses frühe Kleinod geht in der Masse der Bee-Gees-Hits leider unter. Schade.

 

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17. The Byrds - The Christian Life


Eines der zentralen Stücke aus "Sweetheart Of The Rodeo", der genialen Kooperation der Byrds mit Gram Parsons: Der klassische Country-Track, den unter anderem auch die Wilburn Brothers aufnahmen, beinhaltet in der Westcoast-Version den Wunsch des aufgeklärten Menschen nach Geborgenheit und Idyll - und auch die Erkenntnis, daß es beides nicht gibt.

 

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18. The Kinks - Waterloo Sunset


Einfach mal die Füße hochlegen und das Getöse der Großstadt außen vor lassen - genau darum geht es in dem relaxten Song von Ray Davies. Draußen vor dem Fenster pulsiert das Leben, geht es um Liebe, um scheinbar wichtige Entscheidungen. Drinnen sitzt ein moderner Oblomow und ignoriert die Welt.

 

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19. Frank Sinatra - It Was A Very Good Year


Ein Rückblick auf ein Leben und auf die Liebe: Erst war da das Kleinstadtmädel mit Zöpfen und Zahnspange, dann die moderne Großstadtfrau, später kam noch die mondäne Diva dazu. Heute fühlt sich der Mann wie gereifter, edler Wein, gut genug, sie alle noch einmal herumzukriegen. Der Song ist das Statement des erfahrenen Mannes, der klug genug ist, all das Herumgeturne und -gebalze der Jugend zu überlassen. Er stammt übrigens aus einem der besten Sinatra-Alben der Reprise-Ära.

 

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20. The Ronettes - Be My Baby


Stellvertretend für all die Girl-Groups der Sixties, für die Ladies von Phil Spector, vom Motown-Label, für die Shangri-Las, die Raelettes, die Ikettes und wie sie alle hießen steht dieser verheißungsvolle Charmebolzen von einem Song. "Be My Baby" ist zugleich naiv und wissend, verrucht und harmlos, jugendlich und erwachsen.

 

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