Kino_Actrices

O heilige Jungfrau, schenk mir ein Kind!

In ihrer zweiten Regiearbeit erzählt Valeria Bruni Tedeschi mit viel Selbstironie von der Sinnsuche einer Schauspielerin mittleren Alters, die eines Tages feststellt, daß sie im Leben nichts erreicht hat. Was aber nach Tragik klingt, macht die Regisseurin zur Komik - und verleiht ihrem Film damit eine angenehme Leichtigkeit.    06.10.2008

Nach ihrem Debüterfolg "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr" meldet sich die französisch-italienische Schauspielerin Valeria Bruni Tedeschi (ja, die mit der Schwester) nun mit ihrer nächsten Regiearbeit zurück. "Actrices" erzählt von der bekannten Theaterdarstellerin Marcelline (Bruni Tedeschi), die mit fast 40 Jahren plötzlich auf ihr Leben zurücksieht und sich fragt, ob sie nicht den falschen Weg gegangen ist. Ohne Liebe, Mann und Kinder scheint sie ganz allein auf der Welt und hat keine Zeit mehr - weil ihre biologische Uhr tickt. An ihrer Seite hat sie eine stets gutgelaunte Mutter, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters lebensfroh bleibt und versucht, ihrer Tochter mit guten Ratschlägen zur Seite zu stehen. Leider fühlt sich Marcelline dadurch keinesfalls besser; im Moment scheint es eigentlich gar nichts zu geben, was sie glücklicher machen könnte.

Während sie nun also in dieser tiefen Lebenskrise steckt, muß sie sich auch noch mit ihrer aktuellen Theaterrolle auseinandersetzen. Natalja Petrowna aus Turgenjews "Ein Monat auf dem Lande" scheint Marcelline irgendwie ähnlich - und doch fühlt die Schauspielerin, daß sie nicht in diese Rolle paßt. Ihre Theaterkollegen und -kolleginnen, wie der junge Eric (Louis Garrel), von dem sie sich angezogen fühlt, aber auch der Regisseur und seine Assistentin, eine ehemalige Freundin aus der Schauspielschule, tun ein übriges, um Marcelline in einen Strudel aus Verzweiflung, Trauer, Wut und Melancholie zu reißen.

 

Doch obwohl die Gefühlswelt der Hauptfigur sehr düster klingt, ist der Film keineswegs eine tragische Geschichte über die Torschlußpanik einer Frau mittleren Alters. Ganz im Gegenteil erzählt und spielt Tedeschi mit viel Selbstironie und nimmt der Story auf diese Art einiges von ihrer Tragik. Der Film wirkt dadurch realitätsnah und läßt mehr Verständnis für die Protagonistin zu. Schließlich fühlt sich in der wirklichen Welt niemand einfach nur gut oder schlecht. Tedeschi zeigt die Komplexität der menschlichen Gefühlswelt auf und sorgt dadurch immer wieder für lustige Momente und absurde Situationen, so zum Beispiel, als Marcelline ihren Schauspielkollegen fragt, ob er nicht seine stinkenden Socken anbehalten könne, damit sie was zu lachen habe.

Tedeschi zeigt sich von ihrer besten Seite. Ihre Marcelline spielt sie ruhig und bestimmt, vermag die Nuancen in der emotionalen Welt ihrer Protagonistin zu fassen und dabei trotzdem immer einen Anflug von Ironie zu behalten, um die Figur und den Film nicht schwer werden zu lassen. Das Ergebnis ist im französischen Kino nicht unüblich: stille Momente, gefolgt von tragikomischen Dialogen, ruhige Situationen gepaart mit aggressiven und verstörenden Augenblicken, ein ständiges emotionales Auf und Ab sowie eine Story, die unaufhörlich neue Seiten an ihren Protagonisten zeigt und für überraschende Handlungen sorgt.

Im Grunde bringt Bruni Tedeschi also nichts Neues. Ob der Film sich länger im Gedächtnis halten wird, ist fraglich; jedenfalls aber sorgt er für ein schönes Kinoerlebnis und zeigt, daß das Leben eines Schauspielers nicht immer einfach ist. Trotz Erfolg und Ruhm fühlt sich Marcelline weder glücklich noch ausgefüllt, doch auch ihre ehemalige Schulfreundin Nathalie (Noémie Lvovsky) hat es nicht leicht. Obwohl sie in Marcellines Augen zufrieden sein sollte (schließlich hat sie Mann und Kinder), sucht sie in ihrem Leben etwas anderes, das sie im Regisseur zu finden glaubt. Der junge Éric wiederum hat sich verliebt, aber scheinbar in die Falsche, und Jean-Paul (Bernard Nissille), der im Stück Natalja Petrownas Ehemann spielt, beklagt sich, daß keiner ihn beachtet.

So geht es Bühnendarstellern also: Wohin mit all den Gefühlen, die für das Stück geweckt werden, aber dann wieder verschwinden müssen? Bruni Tedeschis "Actrices" ist eine melancholische und ironische Auseinandersetzung mit alltäglichen Problemen, zeigt aber auch auf ehrliche und lustige Weise die Seiten des Schauspielberufs, die sonst im Hintergrund bleiben.

Christa Minkin

Actrices

ØØØ 1/2

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F 2007

107 Min.

Regie: Valeria Bruni Tedeschi

Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Louis Garrel, Noémie Lvovsky u. a.

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