Kino_Bye Bye Blackbird

Die Theatralik der Liebe

In seinem Langfilmdebüt punktet Robinson Savary mit Symbolik und visueller Stärke. Das Ergebnis ist ein bildgewaltiger Streifen mit theatralischen Elementen.    20.12.2007

Die Welt um 1900 war dunkel, trist und doch betörend; Industrialisierung, Konflikte, gleichzeitig aber auch kreative Höhepunkte in Varieté, Theater und Film waren für diese Zeit bezeichnend. Der französische Kurzfilm-Regisseur Robinson Savary erzählt in seinem Spielfilmdebüt "Bye Bye Blackbird" von dieser Jahrhundertwende, die voller Gegensätzlichkeiten steckte: auf der einen Seite bezaubernde Verführungen jeglicher Art, auf der anderen Arbeitslosigkeit, Mechanisierung und die Schrecken eines sich anbahnenden Krieges. Savary vereint diese Kontraste zu einem symbolträchtigen und bildgewaltigen Film über zwei liebende Trapezkünstler und das Schicksal eines Wanderzirkus.

Beim Bau des Eiffelturms verliert der Wanderarbeiter Josef (James Thierree) seinen besten Freund durch einen Sturz in die Tiefe. Von diesem Schicksalsschlag schwer getroffen, schließt er sich einem Zirkus an und verliebt sich in die Trapezkünstlerin Alice (Izabella Miko). Die ist mit ihrem Leben im Zirkus unzufrieden und hofft auf ein Leben in Wohlstand mit einem Mann, der ihr mehr bieten kann als Artistik. Der ambitionierte, nach Freiheit und Glück strebende Josef will wiederum gemeinsam mit Alice eine Nummer am Trapez einstudieren und übt deshalb so lange, bis er vom Zirkusdirektor Dempsey (Derek Jacobi) eine Chance bekommt. Zwischen Alice und Josef entflammt eine leidenschaftliche Liebe, die in ihrer gemeinsamen Arbeit am Trapez Ausdruck findet. Doch bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt in Paris, bei dem sie als der Höhepunkt der Show angekündigt werden, geschieht ein furchtbares Unglück: Alice rutscht aus und stürzt in die Tiefe. Für Josef ist das zu viel. Er wird vom Wahnsinn gepackt und weigert sich, vom Trapez zu steigen, wo er mit der Zeit immer mehr verwahrlost und sich seinen Halluzinationen hingibt.

 

In einem Strudel aus Wahnsinn, Unglück und Trauer führt Savary die Geschichte weiter, die mit dem angeblichen Tod Alices nicht zu Ende ist. Dabei arbeitet er mit einer starken Symbolik, die dem Film einen einzigartigen Reiz verleiht. Die Kostüme der Darsteller wandeln sich vom glitzernden Weiß des Trapezkünstlerpaars zu den tristen schwarzen Federn Josefs, der gefangen wie ein Vogel in einem Käfig sitzt. Die im Hintergrund laufende, kaum merkliche Handlung, die den politischen Wandel und das Aufkommen des Ersten Weltkriegs zeigt, liegt wie ein schwerer Stein auf den Protagonisten und der eigentlichen Erzählung. Hinzu kommen eine traumhafte Bildsprache und eine Farbenpracht, die mehr auszusagen vermag als die Figuren des Films. Die Jahrhundertwende erscheint durch einen romantisch verklärten Schleier, der aber gleichzeitig die Trauer und das Unglück der Protagonisten noch tragischer macht.

Diese Metaphorik verleiht dem Film etwas Einmaliges und Besonderes, das nicht zuletzt von den Darstellern unterstrichen wird. James Thierree, Charlie Chaplins Enkel, der im wirklichen Leben nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Trapezkünstler und Tänzer arbeitet, spielt seine Rolle mit derartiger Entschlossenheit und Theatralik, daß "Bye Bye Blackbird" den Eindruck erweckt, ein Theaterstück oder die Aufzeichnung eines solchen zu sein. Die alten Photographien gleichenden Einstellungen des Films tun das ihre dazu und versetzen die Geschichte in eine unwirkliche, träumerische Dimension. Daß manche Momente durch plötzliche Einschnitte ins Geschehen oder übertriebene Dramatik verstörend wirken, bleibt angesichts der einzigartigen Gestaltung des Films unbedeutend.

Mit "Bye Bye Blackbird" hat Robinson Savary ein eindrucksvolles Langfilmdebüt geschaffen; eine Geschichte über Liebe und Kunst, verpackt in den Kontext von Politik und Krieg; eine ausgefallene und schöne Bildersprache, vereint mit dem fabelhaften Schauspiel der Darsteller. Die wenigen schwachen Momente des Films gleicht Savary durch seine kreativen Einfälle aus und hinterläßt letztlich einen durchaus positiven und spannenden Gesamteindruck.

Christa Minkin

Bye Bye Blackbird

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

D/Luxemburg/Ö 2006

99 Min.

Regie: Robinson Savary

Darsteller: James Thierree, Izabella Miko, Derek Jacobi u. a.

Links:

Kommentare_

Kino
Only Lovers Left Alive

Jims coole Blutsauger

Tilda Swinton und Tom Hiddleston geben in Jim Jarmuschs Genrebeitrag ein außergewöhnliches Vampir-Duo mit Hang zu Coolness, Schwermut und Musik.  

Kino
Wer weiß, wohin?

Von Haschkeksen und Krieg

In ihrem zweiten Spielfilm erzählt die libanesische Regisseurin Nadine Labaki humorvoll und feinsinnig von einem Dorf, in dem eine Gruppe entschlossener Frauen mit kreativen Mitteln die religiöse Feindschaft zu beenden versucht.  

Kino
The Iron Lady

And the Oscar goes to ...

Es ist kein Wunder, daß Meryl Streep mit ihrer Rolle der englischen Premierministerin Margaret Thatcher den dritten Oscar ihrer Karriere gewann. Streep beweist einmal mehr, daß sie zu den fähigsten Schauspielerinnen der Gegenwart gehört.  

Kino
R.E.D. - Älter, härter, besser

We Need A Pig

Bruce Willis, Helen Mirren, Morgan Freeman, John Malkovich ... Nicht nur das Darsteller-Team begeistert in dieser Comic-Adaption. Die Action-Komödie amüsiert mit viel Ironie und Augenzwinkern.
 

Kino
Salt

Humorlose Kampfmaschine

Ihr EVOLVER macht's gründlich: Gleich zwei unserer Kritiker haben sich den aktuellen Film angesehen.
"Ein spannender Spionage-Thriller mit schwieriger Hauptfigur", meint Christa Minkin.  

Kino
An Education

Paris oder Oxford?

Der neue Streifen der "Dogma"-Regisseurin Lone Scherfig überzeugt mit einem pointierten Drehbuch von Nick Hornby und interessanten Figuren. So richtig gelungen ist er trotzdem nicht.