Kino_Interview

Would you kiss me?

Einer der besten Filme des ermordeten Theo van Gogh in einem Remake von Steve Buscemi - das ergibt ungekünsteltes Kino mit Tiefgang. Und schauspielerische Bestleistungen als Draufgabe.    18.08.2008

Nach dem tödlichen Attentat auf den holländischen Filmemacher Theo van Gogh im Jahr 2004 beschlossen einige seiner Kollegen, drei seiner Filme in einer englischen Fassung zu adaptieren. Teil eins dieser Trilogie bildet das Remake von "Interview". Umgesetzt wurde es von Steve Buscemi, der - neben Sienna Miller als Starlet Katya - auch gleich eine der Hauptrollen übernommen hat.

Der Film dreht sich um zwei Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Journalist Pierre Peders (Buscemi), der eigentlich über politische Skandale und Kriege schreibt, soll die prominente junge Schauspielerin Katya interviewen. Doch dieses Unterfangen geht von Anfang an schief. Katya kommt zu spät und entspricht mit ihrem Benehmen dem klischeehaften Bild eines zickigen Stars, während Pierre, verärgert über die Banalität seiner Aufgabe, desinteressiert Fragen stellt. Schnell wird es beiden zu blöd, und Katya haut ab. Doch die beiden begegnen einander einige Minuten später erneut und finden sich nach einem Zwischenfall im Loft der Schauspielerin wieder, wo ein verbales Katz-und-Maus-Spiel beginnt, zwischen einem von sich überzeugten, aber unprofessionell handelnden Journalisten und einer auf den ersten Blick oberflächlichen B-Movie-Darstellerin. Warum sie ihre Brüste hat verkleinern lassen, scheint eine wichtige Frage zu sein, und: ob sie ihre Arbeit gut fände und ihre Filme ihr gefallen würden. Die beiden verstricken sich immer mehr in diese anfänglich seichten Gesprächsthemen - und statt ein richtiges Interview zu führen oder die Sache zu beenden, verlieren sie sich in ihren Emotionen, ihren versteckten Bedürfnissen und ihrer sexuellen Anspannung.

Dabei dient den Figuren und ihren Darstellern die Wohnung Katyas, in der sich fast der ganze Film abspielt, als eine Art Bühne. In diesem Loft, das keine Wände hat, befindet sich alles in einem Raum. Von der Küche gehen sie zum Sofa und liegen dort herum, wie Kinder beim Fernsehen am Sonntagmorgen. Aber anstatt ihre Cornflakes zu löffeln, trinken sie Scotch und Wein und erzählen sich grausame Geschichten über ihre Vergangenheit. Jeder Augenblick steht an der Kippe zwischen Humor, Zynismus, Trauer und Wut; sie scheinen sich gegenseitig aufzustacheln und anzuspornen, um immer mehr Emotionen aus dem anderen herauszukitzeln. Gleichzeitig scheinen beide nicht zu verstehen, was sie eigentlich tun und warum sie die ganze Situation nicht einfach beenden. Doch keiner von beiden schafft es, diesem Sog zu entkommen, und so spielen sie weiter ihre Spielchen um Gewalt und Macht, während sich immer mehr die Idee des Films herauskristallisiert, der Medien und ihre Akteure in den Mittelpunkt stellt und von Vertrauen und Glaubwürdigkeit spricht.

 

Die Vielschichtigkeit des Films wird durch die schauspielerische Bestleistung der Darsteller unterstrichen. Steve Buscemi, der in so unterschiedlichen Filmen wie "Ghost World", "Armageddon" oder "Fargo" mitspielte und vielen seiner Figuren eine sympathische Merkwürdigkeit verleiht, stellt in "Interview" eine ausgesprochen bodenständige Figur dar, was ihm aber ebenso ausgezeichnet gelingt wie frühere Rollen und hier seine Arbeit als Regisseur.

Trotz des ständigen emotionalen und verbalen Auf und Abs der Geschichte bleibt der Film ungekünstelt und echt, was nicht zuletzt auch der Kameraführung zu verdanken ist. Das Team verwendete beim Dreh das von Theo van Gogh eingeführte Drei-Kamera-System, bei dem zwei Kameras auf jeweils einen Darsteller und eine dritte auf das Gesamtgeschehen gerichtet ist. Das ermöglicht lange Einstellungen und schafft mehr Natürlichkeit, die aber ebenso auch von den Schauspielern und ihrer Leistung, dem Drehbuch und der Idee an sich erzeugt wird. Das Agieren der beiden Figuren ähnelt einem Theaterstück, das Loft ist die Bühne mit ihren Requisiten - und während sich die Welt draußen weiterdreht und politische Skandale geschehen, sind drinnen zwei Menschen damit beschäftigt, dem anderen ihre Macht zu beweisen und ihre Ängste preiszugeben, ohne voneinander zu wissen, wie ehrlich sie es meinen: eine Idee, die zwar nicht ganz neu ist, aber durch die Umsetzung eine Einzigartigkeit gewinnt, die fesselt und "Interview" zu einem außergewöhnlichen Film macht.

Christa Minkin

Interview

ØØØØ

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Kanada/NL/USA 2007

84 Min.

Regie: Steve Buscemi

Darsteller: Steve Buscemi, Sienna Miller, Michael Buscemi u. a.

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