Kolumnen_Miststück der Woche III/29

Jason Mraz: "The Woman I Love"

Früher hatten sie in Virginia echte Cowboys, die die Rinderherden noch mit bloßen Händen einfingen. Heute gibt´s dort einen Sänger, der ebenfalls ganz ohne technisches Brimborium auskommt - und den man dafür liebt. Nicht nur er schwimmt auf der Welle des Retro-Erfolgs, wie Manfred Prescher weiß.
   15.04.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Man muß sich nur einmal das Live-Video zu "I´m Yours" anschauen, das Jason Mraz mit einem untersetzten Afroamerikaner zeigt. Die beiden begeistern ein japanisches Publikum völlig ohne Bordelektronik und Humpta-Humpta-Beats. Zwei Männer, die singen können, dazu eine Gitarre und eine Bongotrommel - mehr braucht man nicht zum Musizieren. Wenn dann noch (wie bei "I´m Yours") eine schöne Melodie dazukommt, wird ein Hit draus. Immer und zu jeder Zeit.

Daß die Hit-Produktion aktuell mit echter Handarbeit besonders erfolgreich klappt, liegt am Zeitgeist und seinen sehr austauschbaren Disco-Hühnern und Pseudo-Techno-Dackeln. Also lieben fast alle zur Zeit Adele, Jake Bugg, The Lumineers oder Mumford & Sons, die jüngst mit Grammys ausgezeichnet wurden. Die Trendsetter stehen ihrerseits mehr auf Underground, auf den Soul von Matthew E. White oder Frank Ocean, auf den englischen Folk-Barden Billy Bragg oder auf Devendra Banhart, wobei die Unterschiede zwischen den Superstars und den Kritikerlieblingen wirklich gering sind. Gute alte Handarbeit ist in unserer hochtechnisierten Welt grad besonders gefragt: weil ein iPad eben nicht wärmt, man darauf höchstens mit der Lagerfeuer-App herumspielen kann, und weil ein Android als Partner zwar leidvolle Diskussionen erspart, aber sonst doch eher unterkühlt seinem Werk nachgeht. Ja, die zentrale Frage kann dann nur "Wo bleibt da die Lebensqualität?" lauten.

Heutzutage spielen die Kinder mit drei, vier Jahren schon an Apple-Geräten, obwohl "Pink Ladys" doch viel gesünder wären. Und auch für die Handarbeit gibt es Software, was jetzt alle Singles trösten dürfte. Aber Spaß beiseite: Wir haben sowohl ein Bedürfnis nach Krachbumm-Elektro-Beats als auch nach herzerwärmendem Wohlklang. Der Mensch unterscheidet sich von anderen Menschen, und auch in sich selbst repräsentiert er oft verblüffende Verschiedenartigkeiten. Und bekanntlich macht gerade Verschiedenartigkeit scharf.

 

Bevor ich zu sehr abschweife, versuche ich das Bedürfnis nach handgemachter Musik einmal von einer anderen Seite aus zu sehen. Nehmen wir wieder Jason Mraz, einen mittlerweile auch schon 35jährigen Jungmann, und sein einfach nettes Liebeslied "The Woman I Love". Sowas singt der mittelmäßige Hobbymusiker für seine Liebste mehr schlecht als recht nach und denkt, er wäre der Enkelsohn von Cat Stevens. Und weil man dabei leicht an seine Grenzen stößt, merkt man doch, daß Kunst irgendwie von Können kommen könnte. Blöderweise denken wir spätestens seit der Musik-Software "GarageBand" oder dem Erfolg der niedersächsischen Kulturverweigerer-Truppe Scooter, daß Musik jeder kann - finden das aber, bei Licht betrachtet, gar nicht mal so sehr supi.

Und deshalb erzähl´ ich euch jetzt eine Geschichte vom Pferd. Gut, nicht direkt vom Pferd, das steckt ja bekanntermaßen in der Tiefkühl-Lasagne. Bevor ich loslege, muß ich daher kurz noch erwähnen, daß ich jüngst bei Herrn Felix Austria zu Gast war, und da hing ein irgendwie tröstliches Plakat der einheimischen Landwirtschaft in der hügeligen Gegend herum. Es warb für echtes Rindfleisch aus Österreich. Ist doch gut, daß es wenigstens zwischen Innsbruck und Graz noch genug richtige Rindviecher gibt, oder?

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, die Geschichte ... Die geht so: Ein Mann sieht die Frau seiner Träume. Ein ansteckendes Lachen, das das Herz erwärmt; Augen, die einen anstrahlen, obwohl man gar nicht weiß, ob sie nicht gerade ums Eck schaut; dazu eine Figur, die man unbedingt immer wieder betrachten und berühren will. Ach, und diese Nase, die Sommersprossen, die Ohrläppchen, es ist der Wahnsinn! Er verliebt sich in sie, die Gabel fällt ihm aus der Hand, er würde ihr sein letztes, mit Eierlikör gefülltes Schokoladenei vermachen, nur um einen Blick von ihr zu ernten.

Er ist, wie ihr euch sicher denkt, so verliebt, daß er nach einem passenden Liebeslied sucht. Weil er jetzt nicht in der Steinzeit - also bei Elvis oder Robbie Williams - landen will, schaut er in die aktuellen Hitparaden. Nein, Macklemore, Rihanna oder Pink sind zwar irgendwie nett, aber nett reicht einfach nicht. Also landet er zwangsläufig bei Mumford & Sons ("Lover´s Eyes"), The Lumineers ("Classy Girls") oder Jason Mraz und seinem "The Woman I Love". Der singt aus tiefster Seele mit dem eigenen Hirnschmalz erdachte Zeilen wie: "Wir müssen uns nicht beeilen/Du kannst dir so viel Zeit nehmen, wie du willst/Ich bin bereit/Mein Herz ist zu Hause/Mit meiner Hand hinter dir/Werde ich dich auffangen, falls du fällst/Ich werde dich lieben, wie die Frau, die ich liebe." Ja, das ist der Song, der bringt all das rüber. Ehrlich bis in den letzten Quintakkord. Und wenn es mit der Angebeteten nicht klappen sollte, bleibt immer noch "Broken" von Jake Bugg.

Nächste Woche werde ich einen Wunsch meines Kollegen Andreas H. aus K. erfüllen und über einen gerade noch aktuellen Hit schreiben, der modern und doch irgendwie zeitlos ist. Den kann man auch liebhaben - ich höre ihn grad zum dritten Mal in Folge. Die lange Rede nebst dem kurzen Sinn ist: "I Love It" von Icona Pop. "I Love It" ... Ist das nicht der Slogan von McDonald´s? Kann man ja auch ab und zu mal mögen ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Jason Mraz: "The Woman I Love"

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aus dem Album "Love Is A Four Letter Word" (Elektra Records/Warner)

 

(Foto: Justin Ruhl)

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