Kolumnen_Miststück der Woche III/36

Daft Punk & Paul Williams: "Touch"

Zwei Franzosen kleiden sich wie Maschinenmenschen und sind doch der Inbegriff des Humanen. Zusammen mit einem Großmeister der Songwriter-Kunst beschwören sie uns, zu leben. Richtig schön ist das - findet Manfred Prescher.    03.06.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ich hatte Daft Punk bei mir im Radiostudio, als die Herren Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter gerade erst von ein paar Trendsettern entdeckt und in den siebten Himmel des Elektropop gehoben wurden. Damals gab es ein paar bahnbrechende Maxis und Remixes, die so gar nicht punkig waren. Bangalter erzählte, daß sie ihren "Bandnamen" von einem englischen Journalisten verliehen bekamen, der eine Single der Vorgängerformation als "dümmlichen Punk" oder eben "Daft Punk" bezeichnete.

Auch wenn der Name nicht paßt, hat er sich doch zur Erfolgsmarke entwickelt. Ihr aktuelles, viertes Album "Random Access Memories" verkauft sich weltweit blendend. Mit Recht: es ist musikalisch vielfältig, aufregend und bei aller Komplexität auch sehr eingängig. Das beweist nicht zuletzt die erste Single "Get Lucky". Ganz nebenbei schaffen sie es, Generationen einzubinden und so etwas wie einen optimalen Konsens des guten Geschmacks zu finden. Die Produzenten-Gurus Giorgio Moroder (73) und Nile Rodgers (60) prägten jeweils eine Sound-Epoche und sind nun Teil eines Konzepts, das Vergangenheit und Gegenwart verschmilzt - und dabei konsequent nach vorne blickt.

Auch Paul Williams*, der im Herbst 73 Jahre jung wird, integriert sich mit seiner umfangreichen künstlerischen Biographie. Er hatte - wie der Münchner Moroder - seine beste Zeit in den Neunzehnhundertsiebzigerjahren und schrieb vor allem Stücke für Hollywood-Filme wie "Bugsy Malone", "Ein ausgekochtes Schlitzohr" oder "A Star Is Born" (wofür er gemeinsam mit Barbra Streisand den Oscar verliehen bekam). Um ein Langes kurz zu machen: Daft Punk holen das rüstige Rentner-Trio und entwickeln Klänge, die im besten Sinn zeitlos schön sind. Das gilt besonders für "Touch", das in Zusammenarbeit mit Williams entstand. Der alte Mann erzählt, eingebettet in synthetische, aber sehr warme Harmonien, daß wir das Leben leben und zu jeder Sekunde genießen sollen. Williams singt vom Hunger auf magische Zeitpunkte: "Kiss, suddenly alive/Happiness arrive/Hunger like a storm/How do I begin?"

Der Kuß kann ein besonders intensiver Moment sein, ein Kulminationspunkt, der das Leben beflügelt. Aber darum geht es in den Worten, die Williams zum Sound-Gemälde beisteuert, nur bei oberflächlicher Betrachtung. Eigentlich sollen wir viele dieser Lebenspunkte finden und sie als Geschenk begreifen. Die Musik dazu ist abwechslungs- und temporeich, weil wir ja auch nicht immer gleich flink auf diesem Planeten unterwegs sind. Ab und zu ist es einfach schön, innezuhalten und sich das Weltgetriebe vom Sofa aus anzuschauen. "Touch" ist - so nennen Bangalter und Homem-Christo das zumindest - eine Art "House-Musical", das in knapp achteinhalb Minuten pulsiert wie der Herzschlag der Großstadt, aber auch Oasen der Ruhe und der Sinnlichkeit bietet.

 

Überhaupt ist "Random Access Memory" ein besonderes Album. Das technische Inferno, das Daft Punk 1997 mit "Homework" und den vorangegangenen Maxisingles entfachten, ihr musikalischer Flug in ferne Galaxien, ist einer 13teiligen Rückkehr ins Jetzt und vor allem ins Hier gewichen. Denn hier spielt die Musik - und die haben Daft Punk zum Großteil live einspielen lassen und dann mit ihrem Equipment nachbearbeitet. Nur so kann man alt (siehe oben) und jung (Julian Casablancas, Pharrell Williams, Panda Bear) derart miteinander in Zusammenhang bringen, daß zum einen Daft Punk rauskommt, zum anderen aber auch tatsächlich ein kluges Meisterwerk, das einen Bogen über alle Facetten des Lebens spannt. Musik zum Lieben, Tanzen, Feiern, Kuscheln, Musik für intime und öffentliche Momente. Schön, daß Guy Manuel de Homem-Christo, der eigentlich Guillaume Emmanuel heißt, und Thomas Bangalter wieder zu Hause sind.

Auch schön ist, daß ein guter alter Freund mir seine neue CD zukommen hat lassen: Max Neissendörfer. Ich hab mich erstmal über das Packerl gefreut, es dann ausgepackt, die Scheibe in den Player gesteckt - und war happy. Frank Sinatra ist zwar mausetot, aber Max lebt. Und wie. Vergeßt Michael Bublé! Nicht umsonst ist ein "Bubbl" auf gut Nürnbergerisch genau das, was der Wiener mit "Nasenrammel" bezeichnet. Mehr zu diesem Thema werde ich euch nächste Woche nicht erzählen, aber dafür mit euch lässig durch Raum und Zeit swingen. Gar nicht mal so paradox: Was Max, König mindestens von Großhadern, da mit "klassischen" Instrumenten und ebensolchen Arrangements macht, ist gar nicht mal so weit weg von Daft Punk ...

Also, girls and boys: Bleibt locker, streßt Euch nicht, sondern chillt. Dann treffen wir uns nächste Woche beim "Miststück"-Plausch wieder. Würd´ mich echt freuen.      

 

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER


Manfred Prescher

Daft Punk & Paul Williams: "Touch"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Random Access Memories" (Smi Col/Sony Music)

 

(* Anm. d. Red.: In Brian De Palmas Kult-Adaption des Faustschen Mythos ist Williams übrigens als Schauspieler zu sehen. Er gibt in "Phantom of the Paradise" den Plattenproduzenten Swan.)

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