Kolumnen_Miststück der Woche III/14

Dean Martin: "Baby, It´s Cold Outside"

Draußen schneit es in dichten Flocken, und bei Manfred Prescher kommt gerade ziemlich freudig-festliche Stimmung auf. Bevor die wieder ins Gegenteil umschlägt, schreibt er über einen ganz besonderen Song.    17.12.2012

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ich suche nach einem Geschenk für meine Liebste. Ein iPhone will sie nicht, es soll schon etwas Persönlicheres sein. Weil es mir an Kreativität gebricht, wende ich mein ergrautes Haupt in Richtung Fußgängerzone. Und von dort erschallt praktisch aus jeder zweiten Boutique und jedem Drogeriemarkt "Last Christmas". Das geht mir so auf den Geist, daß ich fast vergesse, mich um das Weihnachtspräsent zu kümmern.

Die Kardinalsfragen in diesen leider nicht so ruhigen Adventstagen sind daher: Wie stellt man Festlichkeit her? Und wie entkommt man "Last Christmas?" Das definitive Kontrastprogramm stammt von Dean Martin, der 1959 ein wirklich schönes Weihnachtsalbum namens "A Winter Romance" aufgenommen hat. Der Titel ist Programm: Der Mann mit dem sexy Bariton singt selbst "Silent Night" so warmherzig und sinnlich, daß sofort klar wird, daß das Fest der Liebe bei ihm auch ein Fest der Zweisamkeit ist. Man küßt sich unter dem Mistelzweig, fährt mit dem Schlitten durch den tiefen Schnee im "Winter Wonderland". Die Glocken bimmeln hell - und ja, alles wird nicht nur gut, sondern sogar richtig schön: "I´ve Got My Love To Keep Me Warm".  Sie zeigt ihm eine Sternschnuppe, und beide wärmen einander mit ihrer Liebe. Dazu singt Dino "Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!”, und das ist so romantisch, daß es sich selbst für hartgesottene Schwerenöter gut anfühlt.

Übrigens: Dean Martin war selbst ein treuer Mann, der ohne Eskapaden auskam. Sein Kumpel Frank Sinatra schreibt, daß Dino nie mit dem Rat Pack mittrank, nicht mit Mädels herumpoussierte und stets früh zu Bett ging. Vielleicht singt er deshalb so entspannt und ausgeruht? Und bringt deshalb die Damen zum Dahinschmelzen? Auf jeden Fall ist "A Winter Romance" meine absolute Lieblingsweihnachtsplatte, auch weil sie schlicht und sehr ergreifend schön ist. Der weltlich-spitzbübische Höhepunkt ist "Baby, It´s Cold Outside", ein Duett zwischen Dino und einer mir unbekannten Sängerin.

Das Lied ist steinalt, der große Musical-Komponist Frank Loesser schrieb es praktisch schon zu alttestamentarischen Zeiten, und seitdem haben es unendlich viele Menschen gesungen, zum Beispiel Rod Stewart und Dolly Parton oder auch Heinz Erhardt und Renée Franke, bei denen es charmant und witzig zugeht. Sie: "Warum schaust du mich so an?" Er: "Wo soll ich denn sonst hinschauen?" Oder ... sie: "Ich muß jetzt nach Haus!" Er: "Aber es regnet doch!" Sie: "Egal, ich muß raus!" Er: "Aber gerade draußen regnet es doch!" Am Ende ist ihr alles egal, und sie sagt "küsse mich tausendmal". Aber der nimmersatte Heinz spekuliert schon auf 1500 Küsse - womit spätestens dann die Nähe zu Dean Martin wieder hergestellt wird.

Bei Dino meint man, das Kaminfeuer prasseln zu hören; er wirbt auf lässige und liebevolle Art um die Angebetete. Mit dieser Stimme und der klaren Ansage, daß es in seinem Arm viel schöner, weil auch wärmer, vor allem aber zärtlich und liebevoll ist, während es draußen in Strömen gießt. Dieses Wechselspiel zwischen Standhaftigkeit und Umworbenwerden funktioniert in Dean Martins Version perfekt, man hört, wie sie mit jeder Zeile weniger weg von ihm will. Daß "Baby, It´s Cold Outside" von Loesser wirklich mal als "echtes" Weihnachtslied gedacht war, merkt man definitiv nicht mehr. Das liegt natürlich auch am Text, denn der definiert die Nächstenliebe eindeutig als Liebe zu derjenigen, die dem Herzen am nächsten ist. In älteren Versionen des Songs ist explizit und ziemlich gemein von "Hey, what´s in this drink?" die Rede. Aber solche Tricks hat Dean Martin nicht nötig, er singt ihr einfach ein oder zwei Lieder, vielleicht "Everybody Loves Somebody" oder "That´s Amore" oder "You Belong To Me" - und es kann draußen ausgewachsene Mondkälber regnen.

Wer zu Weihnachten nicht allein ist, sondern eine(n) Liebste(n) hat, der braucht Dean Martin und "A Winter Romance", der Rest sollte trotzdem nicht "Last Christmas" hören.

Nach den wohlverdienten Weihnachtsfeiertagen und dem Rutsch in die glorreiche Zukunft wird es am 7. Jänner an dieser Stelle übrigens ein wunderbares, neues Lied von Nick Cave geben. Es heißt "We Know Who U R". Wenn ihr wollt, dann wißt ihr ja, wo ihr diese Kolumne finden werdet.       

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Dean Martin: "Baby, It´s Cold Outside"

Leserbewertung: (bewerten)

u. a. enthalten auf den CDs Winter Romance oder Christmas Songs (Cargo Records).

Links:

Miststück der Woche, Pt. 8: Weihnachtliches Geseier

(vom 19. 12. 2005)


Passend zur Jahreszeit dröhnen uns seit Tagen diverse Christkind-Schlager entgegen. Grund genug für Manfred Prescher, der Nordpol-Hitparade ein "Miststück" zu widmen.

Links:

Kommentare_

Thomas Fröhlich - 17.12.2012 : 13.46
Endlich!
Endlich gibt's jemanden, der die beste Weihnachts- bzw. Winter-Scheibe aller Zeiten gebührend würdigt.
Ein wunderbares Weihnachtsfest ... brauch' ich dem Schreiber der obigene Zeilen gar nicht mehr zu wünschen - bei DEM Soundtrack kann nichts mehr schief gehen.

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