Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 98

Die Ärzte: "Junge"

Sie sind nicht nur die "beste Band der Welt", sondern auch die feigste. Das liegt daran, daß sie sich nicht trauen, eine witzige Idee in die Realität umzusetzen - findet Manfred Prescher.    17.09.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Über das neue Lied der Ärzte muß man nicht viele Worte verlieren: "Junge" ist ein Stück Punk der Sorte, den die drei Doktoren seit Jahr und Tag raushauen. Die Geschichte um einen Adoleszenten, der mit Frisur und Hörgewohnheit bei den Erwachsenen aneckt, ist so alt wie die Popmusik. Und verklärt natürlich, daß der Style des Heranwachsenden nur eines von vielen Elementen der Auflehnung gegen die versteinerte Welt der Väter und Mütter war. Heute ist das anders: Jugendstil ist keine Frage von Alter und Auflehnung mehr. Weshalb die Vorab-Single zum neuen Ärzte-Album "Jazz ist anders" reichlich anachronistisch wirkt. Punkt. Ende der Fahnenstange.

Interessanter ist, daß Bela, Rod und Farin uns eine Zeit lang vorgaukelten, sie würden den Doktorenberuf an den Nagel hängen und die weißen Kittel gegen Schürzen und Kochmützen tauschen. Was in Zeiten von Gesundheitsreformen nur zu verständlich ist: Jamie Oliver oder Tim Mälzer verdienen sicher besser als der gewöhnliche Hausarzt um die Ecke und wahrscheinlich auch mehr als gewöhnliche Musiker - und müssen im Job viel weniger Angst vor Viren oder Bakterien haben. So erklärten die Ärzte der staunenden Fan-Schar und der einfältigen Presse, sie würden nun Die Köche - natürlich mit drei Punkten auf dem "ö" - heißen, die neue Maxi zum Album "Jazz isst anders" wäre "Küchenjunge".

Wie viele Foren belegen, glaubte man den Schelmen. Obwohl sie eigentlich sofort signalisierten, daß sie nicht die Reimchen am Herd abgeben wollten: sie dichteten das komplette Werk um und schufen ein eigenes Küchenverzeichnis. Der Gag wurde schnell schal, weshalb er nach relativ kurzer Zeit wieder von der komplett neu ausgekochten Website der Band verschwand. Was ich schade finde, aber ich hätte das Ganze sowieso anders aufgezogen: Die Idee, sich in Die Köche umzubenennen, war eigentlich richtig gut. Besser auf jeden Fall als das neue Lied. Doch dann hätte es zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder man schubst den gesamten rückwärtigen Ärzte-Kontext in Richtung Induktionskochfeld und Garpfanne - oder man schafft eine neue Identität, die mit dem Veröffentlichungszeitpunkt von "Küchenjunge" und dem dazugehörigen Medienrummel beginnt. Dann hätte der alte Kladderadatsch einfach für sich stehen bleiben können; schließlich weiß ja jeder, daß "Unrockbar" oder "Grace Kelly ist tot" von den Ärzten stammen.

 

Vielleicht war die bislang auch Marketing-mäßig beste Band des Planeten aber diesmal der Meinung, daß drei Köche nicht nur das weibliche Küchenpersonal, sondern auch den Umsatz verderben würden und sich ein solches Album nicht verkaufen ließe, weil niemand mitbekäme, wer dahinter steckt? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Möglicherweise ist dieser zweite Versuch - nach der CD "Le Frisur", die sie leider nicht als Frisöre (mit drei Punkten auf dem "ö") veröffentlicht haben - ja auch einfach nur zu sehr auf den kurzen Gag hin konzipiert worden. Die Ärzte könnten es sich ja spielend und singend leisten, unter einem neuen Namen zu musizieren. Ich würde mit Bela um meine Lee-Hazlewood-LP-Sammlung wetten, daß Die Köche aus dem Stand auf Platz 1 der Charts landen würden - denn erstens spricht sich heutzutage alles im Raketentempo herum und zweitens bei den Ärzte-Fans noch schneller. Die wissen alles einen Augenblick, nachdem es die Doktoren in den Terminplan oder ins Rezeptbuch hineinnotiert haben, was natürlich Absicht ist. So brauchen "DÄ" keine Konzertankündigungen, Plakate oder ähnlich flankierende Maßnahmen, die Gigs sind sofort ausverkauft - und das, bevor irgendein gelangweilter Zeitgenosse davon Wind bekäme, weil er nur "Männer sind Schweine" kennt und die Band "immer schon mal sehen wollte".

Damit wird gewährleistet, daß die Fans unter sich sind und ihre Zugehörigkeit zum Geheimbund genießen können. Daß diese Organisation enorm viele Mitglieder hat und die natürlich jede Veröffentlichung ihrer Ober-Freimaurer immer sofort brauchen, erhöht den Lebenskomfort der drei Medizinalräte enorm. Eine Platte der Köche ließe sich also spielend leicht in großer Menge absetzen. Spätestens dann spräche es sich beim Rest der Menschheit auch herum, wessen Clownsköpfe sich unter den Kochmützen befinden. Und weil Ottonormalhörer der Bandname sowieso egal ist und er nur das kauft oder aus dem Netz saugt, was er durch Playlisten reingedrückt bekommen hat, bliebe alles beim alten.

Nun gut, fast alles: Für die Köche gälte es eine Reihe von neuen lukrativen Merchandising-Möglichkeiten zu erschließen, die weit über das übliche T-Shirt-Live-DVD-Caps-Songbook-Szenario hinausgehen: Kochschürzen, Flaschenöffner, Servierplatten, Steaksoßen und Fleischwender, Rezeptsammlungen, Koch-Events mit DVDs, Messersets usw. usf. Eine eigene Küchenshow im Fernsehen würde das Produktprogramm garantiert zum Verkaufsschlager machen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Die Ärzte - Jazz ist anders


Hot Action/Universal (D 2007)

Links:

Kommentare_

slow - 18.09.2007 : 13.35
Was für ein herablassendes Gerede. Den Jugendlichen von heute hilft es nichts, dass es vor zwanzig Jahren auch schon Jugendliche und Musik gab.
Miststück - 26.09.2007 : 11.53
Das beste Ärzte-Stück seit langem. Das rockt!
slowmovement - 28.09.2007 : 19.29
@ Miststück: So ist es.
mike - 25.10.2007 : 00.07
Wenn man Bedenkt welcher Sinn hinter diesem Song steht, past er voll und ganz in unsere Zeit. Der Song sagt das aus was sich seit einiger Zeit viele Menschen Denken aber keiner sagt es. Ich finde in Genial der Text ist hammer und besser als Tokio Hotel oder Popstars etc. :-)
Sandra - 02.12.2007 : 04.15
Ein Kommentar aus rein persönlicher Sicht und diese Sicht scheint mir etwas einseitig. "[...]der alte Kladderadatsch" - Es ist wohl eher so, dass die Ärzte das, was sie früher taten und veröffentlichten unter ihrem Namen bewusst und gerne taten. Warum also nun ein solches Gewicht auf einen Witz der drei legen? War es doch anscheinend der erste Witz, den Sie von den dreien vernahmen, denn man hätte schon tausende Dinge ewig weit ausbreiten können, ohne jeglichen Sinn. "Die Köche" - Das steht doch gar nicht zur Debatte. Zum Einen wäre es ein riesiger Aufwand alles umzubenennen, dies zu verbreiten und zum Anderen hätte es absolut keinen Sinn. Des weiteren bin ich überzeugt davon, dass Sie das neue Lied der Ärzte nicht wirklich verstanden zu haben scheinen. Das unzensierte Video wirkt gewiss mehr als nur makaber, ja, aber der Text verbirgt die Wahrheit, so wie es in den meisten Texten der Ärzte der Fall ist. Wie dem auch sei, ich bin durch Zufall auf dieser Seite gelandet und gebe einfach den Rat mit auf den Weg nicht schon mitten drin persönliche Wertungen blicken zu lassen.

MfG,
Sandra

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