Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 10

Duffy: "Rockferry"

Immer wieder diese Vergleiche: Kein Newcomer ist davor gefeit, mit irgendeinem Fossil von anno dazumal verglichen zu werden. Das könnte allerdings auch daran liegen, daß es nix Neues mehr gibt - findet Manfred Prescher.    14.01.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Duffy ist kein häßliches Entlein, sondern eine propere Blondine aus Wales, genauer gesagt aus Nefyn Gwynedd. Auch wenn der Name des britischen Dörfchens in unseren Ohren so klingt, als stamme es aus einem Trickfilm von Tex Avery, hat Duffy gottlob nichts mit der gleichnamigen "Looney Tunes"-Figur gemeinsam. Außerdem heißt sie ja nur mit Nachnamen so - und ihr Vorname Aimee Ann paßt durchaus zur Videooptik der Künstlerin.

Weil Duffy so neu ist, daß hierzulande bislang kaum jemand etwas von ihrer Existenz mitbekommen hat, kann man, wenn man die Ohren nah am Puls der Zeit hat, noch den Nachhall des Raschelns in der Alt-Pop-Schublade hören, die geöffnet werden mußte, um nach längerem Stöbern eine halbwegs passende Referenzquelle zu finden: Dusty Springfield. Die "White Queen of Soul" könnte knapp ein Jahrzehnt nach ihrem Tod ein weiteres Comeback feiern. Schon in den 80ern wurde Dusty ja von Menschen mit Geschmack oft als Grundlage für die persönliche musikalische Entwicklung angegeben und auch gecovert. In den 90er Jahren war sie schließlich selbst wieder sehr erfolgreich, zum Beispiel mit "Wherever Would Be", dem eleganten Titelsong des Films "Während Du schliefst". Mit Marc Almond, der aktuell eine 1:1-Transkription von Dustys 68er-Top-Ten-Streich "I Close My Eyes And Count To Ten" aufgenommen hat, ist dabei ein Sänger federführend, der schon vor 20 Jahren an vorderster Front des Springfield-Trends agierte. Dusty war halt eine echte Diva, geformt aus dem dafür notwendigen überirdischen Grundstoffen - weshalb eher Marc Almond in ihre Fußstapfen treten kann als eine junge Frau, die außer Ambitionen noch nicht viel vorzuweisen hat.

 

Dann ist da natürlich noch der Name: Duffy klingt zwar irgendwie nach Duff-Bier, doch die Vokale sorgen auch dafür, daß eine lautmalerische Nähe zu Dusty unverkennbar ist. Und weil man in Britannien und anderswo schon seit den seligen Zeiten von T. Rex traditionell nach den neuen Beatles, den nächsten Bay City Rollers oder den aktuellen Oasis sucht und jede aus einem Liverpooler Übungsraum gekrochene Band auf den Pilzkopf-Sockel der Jetztzeit gehievt wird, ist Duffy eben die neue Dusty. (Übrigens: Die weiße Soul-Königin hieß in echt Mary Isobel Catherine Bernadette, und es ist sehr schade, daß sie ihre Platten nicht mit diesem wahrlich Diva-mäßigen Namensquartett geschmückt hat - dann blieben uns wenigstens derlei Vergleiche erspart.)

Weil sich "Rockferry" natürlich wie geschnitten Brot verkaufen soll, darf Duffy nicht das sein, was sie ist: eine talentierte Songwriterin mit sehr angenehmer Stimme. Für die Waliserin mag der Vergleich Marketing-technisch durchaus lohnenswert sein, also der Single und dem Debütalbum den nötigen Kick verschaffen. Schließlich muß die Karriere-Anlaufgeschwindigkeit stimmen, wenn man mit Schmackes über den Chancentisch zum Erfolg springen will. Allerdings wird dadurch auch die Meßlatte richtig hoch gelegt, und der häufig formulierte Anspruch kann eine Bürde sein. Wir wissen ja, daß so mancher Morgenstern schon jäh abgestürzt ist, noch bevor die Mittagssonne am Himmel stand. "Rockferry" ist jedenfalls ein süßer kleiner Ohrwurm mit eingebauter Hit-Garantie. Ob das reicht, wird sich am 8. März zeigen: Am Welt-Dusty-Tag erscheint in Großbritannien der dazu gehörige Longplayer. Ich werde Sie dann darüber informieren, ob die Gleichung Dusty = Duffy tatsächlich aufgeht. Nächste Woche gibt´s an dieser Stelle erstmal Neues von einem Alten - nämlich von Nick Cave.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Duffy - Rockferry

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Universal (GB 2008)

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