V/A - New Orleans Funk 1960-75
Soul Jazz Records/Indigo (USA 2000)
Alt, aber bewährt: Was für viele Rostlauben auf den Straßen gilt, trifft auch auf dieses Lied zu. Es läßt sich preiswert in Werbespots einsetzen und so in die Hitparaden bugsieren - diagnostiziert Manfred Prescher. 17.12.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Die britische Drogeriemarktkette Boots zeigt in ihrer Werbekampagne für das Weihnachtsfest, wie sich normale Frauen mit Hilfe von Kosmetikprodukten aufstylen. Ernie K-Does Killergroove "Here Come The Girls" liefert den passenden Soundtrack dazu. Die Damen wippen sich praktisch ins Vorzeigbare. Leider wird der Spot nur in England und auf dem Planeten YouTube gezeigt, also stelle ich mir vor, der Rare-Soul-Oldie würde bei uns von Douglas eingesetzt. Ernies Oldie paßt schließlich zum Marktführer der Beauty-Branche und dessen Lockruf des Goldes: "Douglas macht das Leben schöner!"
Die schräge Botschaft des britischen Werbeclips ist auf jeden Fall, daß Frauen im Kommen sind - vorausgesetzt, daß sie sich beim Bodytuning kräftig ins Zeug legen und dabei (wie im Werbefilm) den Mund halten. Das sollten die derzeit im Mutterland des Britpop schwer angesagten fünf Grazien von Girls Aloud am besten auch tun und meinetwegen für irgendwelche Playboy-Photographen oder den Heiligen Larry Flynt posieren.
Aber nein, die Mädels müssen singen. Und wahrscheinlich wird an ihrem Wesen noch die ganze Welt verwesen. Die Hübschen gewannen schließlich den "Britannien sucht den Superstar"-Wettbewerb in der Kategorie Spice-Girls-Lookalikes. Nun versuchen sie auch noch, so zu singen. Eingebettet in billigsten Proll-Pop offenbart sich eine eigentlich nicht zu überhörende Unmusikalität. Dafür hätte man früher im Musikunterricht auf der Klippschule maximal eine 4- bekommen - es sei denn, pädophile Pädagogen hätten Pluspunkte für Videooptik gewährt.
Mittlerweile hat der inflationäre Mißbrauch von Contests die Geschmacksknospen derart verdorrt, daß selbst Mini-Müllopern wie die neue Girls-Aloud-Single "Call The Shots" mit Nachdruck der maroden Plattenindustrie in die oberen Regionen der Charts gespült werden. Bei den fünf Britinnen hat das sehr gut geklappt. Ihr könnt mich Kassandra nennen, aber ich wette, daß Girls Aloud auch das europäische Festland erobern werden. Getreu dem Motto "I call the shots", was in etwa "ich sage, was getan wird" bedeutet. Bei Licht betrachtet, dürften es allerdings andere Personen - sogenannte Entscheidungsträger - sein, die festlegen, daß der gleichnamige "Song" gehört werden soll.
Dagegen kann man nix tun, oder? Auf jeden Fall will ich der globalen Geschmacksverirrung nicht Vorschub leisten, also gibt es an dieser Stelle keine Web-Adresse, auch keinen MySpace-Link zu Girls Aloud. Und ich behaupte frech, daß in Amazonien weder Single noch Album erhältlich sind. Im Gegensatz zu Ernie K-Doe. Dessen 1972er-Prä-Disco-Groover "Here Come The Girls" ist auf dem sehr empfehlenswerten Sampler "New Orleans Funk 1960-75" zu finden. Der rare Track des "Mother-In-Law"-Großmeisters befindet sich im besten Umfeld. Auch andere Heroen der Metropole von Louisiana, zum Beispiel The Meters, Dr. John, Eddie Bo oder der ultracoole Professor Longhair, sind auf diesem Sampler zu hören. Die Single ist hierzulande nur virtuell zu bekommen, aber iTunes und Co. haben "Here Come The Girls" schon im Vereinigten Königreich in die Charts gebracht - natürlich im Verein mit massiver TV-Präsenz.
Leider wird Ernest Kador Junior, wie der Soulsänger eigentlich heißt, von seinem späten Ruhm nichts mehr haben, weil er 2001 im Alter von 65 Jahren verstorben ist. Das ist besonders schade, da er einer von vielen Künstlern aus dem Mississippi-Delta war, die es trotz Talent nicht geschafft haben, sich im Pop-Tollhaus zu behaupten. Die biographischen und musikalischen Tragödien sollten wirklich mal erzählt werden, aber das sind Geschichten, die eher zwischen Buchdeckel als in ein "Miststück" passen. Daher wird sich die nächste Kolumne am 14. Januar mit der Auferstehung von Dusty Springfield beschäftigen. Bis dahin wünsche ich allen Lesern ein schönes, swingendes, groovendes oder auch besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein geschmackssicheres neues Jahr - und rate daher, die Ohren von Girls Aloud zu lassen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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